Warum bei Agenturen wie Werbungtreibenden Verunsicherung herrscht

Der Brexit steht kurz bevor – welche Auswirkungen der Austritt aus der Europäischen Union für Großbritannien tatsächlich hat, ist unklar. Martin Albrecht, CEO CROSSMEDIA Worldwide, verfolgt die Stimmung und stellt seine Prognose für die Kommunikationsbranche auf:

Im Oktober wird es wohl so weit sein: Großbritannien verlässt die EU. Wie gravierend die Folgen sind, vermag keiner zu sagen. Es herrscht tiefe Verunsicherung.

Kaum bekannt in Deutschland sind JD Porter und Alhan Gençay. Obgleich das angesagte Moderatoren-Duo aus Großbritannien etliche Tage lang Frankfurt und das Umland durchstreift hat. Die Insulaner besuchten einen Apfelweinbauern, die Kleinmarkthalle Frankfurt, die Burg Frankenstein, die neue Frankfurter Altstadt und die Oper. Zu sehen sind die Filme im Vereinigten Königreich auf Kanälen wie Youtube, Facebook, Linkedin und Instagram, flankiert von Social-Ads. „The Frankfurt Job“ heißt die Kampagne, die Frankfurt als attraktiven Standort positionieren will. Auftraggeber ist der Regionalverband Frankfurt-Rhein-Main International Marketing of the Region (FRM). Die Agentur dahinter ist Cheil Germany.

Der Zeitpunkt ist bewusst gewählt. Nur mehr rund vier Monate, dann wird der Brexit Realität. Dann könnte es gut sein, dass weitere Unternehmen die Insel verlassen und aufs Festland gehen. Etliche, darunter Sony, Dyson oder auch Panasonic, haben ihre Headquarter bereits verlegt. Selbst Jaguar Land Rover droht mit dem Weggang. Mitte März berichtete die FAZ, 14 Prozent der europäischen Unternehmen mit einer Präsenz in Großbritannien hätten ihr Geschäft reduziert, elf Prozent bereits Mitarbeiter abgezogen und Beschäftigte in andere Länder verlagert. Andere, heißt es, horten tonnenweise Produkte im Vereinigten Königreich, um auf erschwerte ­Import-/Export-Bedingungen vorbereitet zu sein. Im Gegenzug wittern Städte wie Frankfurt, Paris und Amsterdam die Chance, potente Firmen und qualifizierte Mitarbeiter anzulocken.

Der große Run gerade aus der präferierten Finanzbranche an den Main ist allerdings bisher ausgeblieben. Vielleicht wegen der Konkurrenz. Bestimmt aber, weil noch nichts geklärt ist. Bis heute steht nicht fest, ob der Abschied der Briten in einem geregelten oder in einem ungeregelten Prozess erfolgt. Letzterer, da sind sich alle Seiten einig, birgt reichlich Risiken (siehe Interview).

Drohen Datenchaos und Rezession?

Martin Albrecht, Geschäftsführer bei Crossmedia in London spricht von einem „Drahtseilakt ohne Netz, in dem eine Handvoll Leute ihrer politischen Karriere willen das Land spalten durch Lügen und Realitätsverlust.“ Dabei verbiete sich jede Prognose über den Zustand Großbritanniens danach. „Klar ist nur, dass die Volkswirtschaft mittelfristig Schaden nimmt, weil Planungssicherheit eines der Kernelemente einer prosperierenden Volkswirtschaft ist.“

Und hierzulande? Schon Anfang des Jahres malte Christian Köhler, Hauptgeschäftsführer beim Markenverband, ein düsteres Bild. Die ­Bedrohungen seien vielfältig. So könnten Unternehmen, die ihre Marken nicht in Großbritannien eingetragen, sondern über die EU-weit gültige Unionsmarke geschützt haben, ihren Markenschutz auf der Insel verlieren. Hinzu kämen finanzielle Belastungen durch Zölle oder noch unklare Einfuhr- und Exportregelungen. Ob es die bis Oktober gibt? Unwahrscheinlich. Derzeit sieht es so aus, dass Boris Johnson der Nachfolger von Theresa May in der Downing Street wird. ­Jener Johnson, der sich für einen „harten“ Brexit ausgesprochen hat.

Beim Branchenverband Bitkom verfolgt man die Entwicklungen um einen – möglicherweise ungeregelten – Brexit ebenfalls mit großer Sorge. Vor allem mit Blick auf den Datenverkehr. Kommt es zu einem Brexit ohne Abkommen, wird Großbritannien datenschutzrechtlich zum sogenannten Drittland wie beispielsweise ­Kenia. Dann dürfen personenbezogene Daten nicht mehr ohne Weiteres nach Großbritannien übermittelt werden. Wer das nicht beachtet, verstößt gegen die DSGVO und riskiert Bußgelder. Und es könnte viele treffen. Jedes siebte Unternehmen in Deutschland, das personenbezogene Daten über externe Dienstleister verarbeiten lässt, tut dies in Großbritannien (Stand: 2018). Nach Angaben des BDI finden 75 Prozent des grenzüberschreitenden britischen Datenverkehrs mit den restlichen EU-Staaten statt.

Eine Unklarheit, die auch den Agenturen in Deutschland zu schaffen macht. Was heißt das für Ad-Server in UK? Müssen Kampagnen, die auf Daten basieren oder mit Daten arbeiten nicht besser ­gestoppt werden? Die deutschen Verbände geben sich entspannt. So heißt es beim Gesamtverband Kommunikationsagenturen (GWA), dass das Thema für die eigenen Mitglieder nicht sonderlich relevant sei. Auch wenn nicht auszuschließen sei, dass es zu einer wirtschaftlichen Eintrübung komme. Andererseits könnte der Brexit einen positiven Effekt für die Beschäftigungslage in Deutschland haben. Man beobachte die Entwicklung und sei in regelmäßigem Austausch mit britischen Kollegen beispielsweise aus dem EACA.

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Alles in Butter also? „Ich glaube sicher an eine britische Rezession ab dem Brexit, und eher an ein Erdbeben beim No-Deal, der weiterhin das wahrscheinlichste Szenario ist“, hält Manager Albrecht dagegen. Er verfolgt aufmerksam die Stimmung nicht nur bei den Expats. Seine Prognose: „Das wird kaum irgendwo so hart wie für die Kommunikationsbranche, wo sich immer kurzfristig Kosten sparen lassen.“

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