Der Wandel ist unaufhaltsam

Andrea Schroeder

Wie sieht die Zukunft der Werbung raus? Unsere Managing Partner Andrea Schroeder hat im Rahmen einer Umfrage der new business drei spannende Fragen zu Branchentrends beantwortet:

nb: Der TV-Werbemarkt ist im Umbruch: Die Reichweiten gehen nach und nach zurück, und jüngere Zielgruppen können über das lineare Fernsehen immer schlechter adressiert werden. Auch die TV-Vermarkter denken um und bauen ihr Angebot in Richtung Advanced-TV aus bzw. um. Kann TV seinen Stand mit der Erweiterung um neue Bewegtbildkanäle wie ATV und CTV sichern?

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Andrea Schroeder: Der Umbruch ist allgegenwärtig. Die erst zaghaften Veränderungen der Mediennutzung haben – wie wir alle wissen – durch Corona eine massive Beschleunigung erfahren. Gerade stehen die Zeichen trotz aller Entwicklungen eher in Richtung Evolution statt Revolution.

Woran liegt das? Sicherlich nicht an mangelnden Substituten im gesamten Bewegtbild-Feld. Eher daran, dass wir aus der bisherigen Transformation gelernt haben, erst neue Optionen in ihrem Potenzial und ihrer Wirkung zu prüfen, als sofort blind jedem Versprechen zu glauben.

So werden neue Streaming-Anbieter mit Werbezeit zum Beispiel hinsichtlich langfristiger Reichweitenentwicklungen, Aboverhalten, Wirkung, Preisgestaltung auf den Prüfstand gestellt. Und ja, natürlich reagieren die TV-Vermarkter. Das Angebot entwickelt sich Stück für Stück weiter in Richtung digitaler Angebote. Doch die Messung offenbart, dass Verfügbarkeiten begrenzt sind und TV in der Masse immer noch die höchsten Reichweiten erzielt. Totgesagte leben länger.

So wie auch Printmedien versucht haben, sich über neue Angebote in die digitale Welt zu transformieren, passiert dies natürlich auch im Bewegtbildbereich. Dabei müssten sich heute aber sehr viele kleine Player mit begrenzten Verfügbarkeiten zusammenschließen, um linearem TV auf der Reichweitenebene überhaupt begegnen zu können. Der Tod erfolgt also in kleinen Schritten – was die Diskussion über die Transformation des gesamten Bewegtbildmarktes noch um einige Zeit verlängern wird.

Content is king – dies wird sich in Zukunft weiter bewahrheiten. Wer die richtigen inhaltlichen Angebote schafft, wird bei den Zielgruppen gewinnen. Die Plattform ist dabei nur ein Mittel zum Zweck. Internetfähige Fernsehgeräte sind heute in den meisten Haushalten installiert. Mobile ist bei den jungen Zielgruppen gelernt. Sicher ist – ob Video on Demand, User-Generated Content oder Live-Programm – die Menschen werden immer weniger im Zugang unterscheiden.

Fragmentierung bleibt also bei Marktteilnehmern, Übertragungsweg und Device weiterhin ein Thema, das auch in der Planung neben der reinen Zahlenlehre in Zielstellungen, Nutzungsverhalten und in der Rolle der Kanäle & Angeboten Berücksichtigung finden muss.

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nb: Retail Media wird ein rasanter Aufschwung zu einem ganz großen Medienkanal prophezeit, der dem IAB zufolge bis zum Jahr 2026 TV-Werbung überholt haben soll. Sind die Erwartungen berechtigt? Wie bewerten Sie das Potenzial der Gattung?

Schroeder: Erst einmal ist Retail Media nicht als einzelner Kanal zu betrachten. Schon aus diesem Grund hinkt der Vergleich zwischen Retail Media und TV-Werbung, die darüber hinaus auch in ihrer Funktion erst mal nicht viel gemein haben.

Es ist dabei natürlich richtig, dass Retail Media inzwischen im Upper Funnel angekommen ist. Teilweise kann es heute schon eine wichtige Rolle in der Markenkommunikation übernehmen.

Wenn es um die Erwartungen für die Zukunft geht, gilt wie bei den meisten Media-Ökosystemen auch hier, dass sich nicht alle Marken und nicht jede Botschaft für die alleinige Kommunikation über Retail Media eignen. Die eigentliche Kraft entfaltet sich für das Gros der Werbetreibenden also nicht im „Entweder-oder“, sondern in der Vernetzung von Maßnahmen, also dem „Sowohl-als-auch“.

Neben der Passung Marke und Kanal spielen Fragmentierung und Professionalisierungsgrad heute noch eine Rolle, die – vor allem im Gegensatz zu anderen Entwicklungen in unserem Markt – rasant vonstattengeht. Bedeutet, die Konsolidierung und weitere Professionalisierung der Abrechnungsmodelle, KPI, Bestandteile etc. haben ein hohes Tempo aufgenommen. Wir können Retail Media fast schon beim Erwachsenwerden zusehen.

Zu guter Letzt ist die Zuordnung der Budgets zum Vertrieb oder zum Marketing häufig noch nicht geklärt. Da das Performance Marketing an die Wachstumsgrenzen stößt, wird sich aber auch dieser Konflikt schnell auflösen und Retail Media zum Wachstumsbringer für geeignete Marken eine bedeutende Rolle einnehmen.

nb: Das Web3 und Metaverse werden derzeit zum neuen Zukunftsmedium stilisiert. Was ist tatsächlich dran an dem Hype? Wann kommen die Blockchain-Technologie und virtuelle Welten aus der Nische und sind für den Werbemarkt von echter Relevanz?

Schroeder: Wir haben gerade das Metaverse mit einer ersten individuell kreierten Kampagne für einen unserer Kunden als Mediakanal genutzt, gehen hier die ersten Schritte in diesem Fall virtuell im Decentraland. Dies aber bewusst vor der „echten“ Relevanz des Mediums als Werbeträger mit noch geringer Reichweite, um gemeinsam mit der Zielgruppe den Kanal zu erschließen. Das ermöglicht uns, sehr früh Erfahrungen zu sammeln und mit den Nutzern zu lernen.

Bei der Planung und Umsetzung von Kampagnen im Web 3.0 zeichnet sich ab, dass gerade die Technologie, auf der das Web 3.0 basiert, ein enormes Potenzial für die Zukunft hat. Angefangen bei der WalletID, die theoretisch auch Funktionen des Cookies weit über virtuelle Welten hinaus übernehmen könnte, bis hin zu den eigentlichen Metaversen – es ergeben sich vielfältige neue Möglichkeiten.

Aktuell sehen wir am Beispiel ChatGPT bzw. OpenAI, wie neue Technologien immer schneller Fahrt aufnehmen. Ob sich Metaversen als Werbeumfeld in drei oder zehn Jahren etabliert haben, vermag ich nicht zu prognostizieren. Es wäre wünschenswert, wenn wir auf dem Weg dahin die Erwartungshaltung zu diesem Thema nicht wie so oft überstrapazieren.

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Das vollständige Interview mit Andrea Schroeder und weiteren Expert:innen lesen in der new business, Ausgabe 3/2023.

© Jan Ladwig