Fahren auf Sicht

Welche Entwicklungen werden die Werbebranche dieses Jahr beschäftigen? Dieser großen Frage stellten sich Matthias Bade und Sebastian Schichtel, beide Managing Director bei CROSSMEDIA, im Rahmen einer Umfrage der Markenartikel:

Die Unsicherheit, die das Jahr 2022 geprägt hat, besteht Anfang 2023 weiter fort. Und es darf als sicher angenommen werden, dass sie uns auch das gesamte Jahr über begleiten wird. Doch wie macht sich die wackelige Gesamtlage im Werbeverhalten bemerkbar, wie nehmen Mediaagenturen das Buchungsverhalten der Industrie wahr?

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Ähnlich schätzt Matthias Bade die Situation ein. Der Managing Director der Düsseldorfer Agentur Crossmedia gibt zu Protokoll: »Wie in der gesamten Werbebranche war auch bei vielen unserer Kunden das Jahr 2022 von Vorsicht und Zurückhaltung geprägt. Investments wurden noch einmal, mehr als ohnehin üblich, hinterfragt und im Zweifel aufgrund der unsicheren Wirtschaftslage eher zurückgehalten. Und da den Deutschen ja ein gewisser Zukunftspessimismus innewohnt, sind auch die Aussichten für 2023 zunächst verhalten. Dies ist im Übrigen konträr zu unseren internationalen Kunden, die oft mit deutlich mehr Mut und Optimismus an die Planungen für das neue Jahr gehen.«

Cossmedia rechnet für Deutschland im 1. Halbjahr 2023 mit einem weiter rückläufigen bzw. stagnierenden Buchungsverhalten, spekuliert aber für die zweite Jahreshälfte auf einen gewissen Nachholeffekt, sollten sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den nächsten Monaten verbessern.

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Neben Themen wie Retail Media sind es für Matthias Bade von Crossmedia vor allem drei Entwicklungen, die aktuell starken Impact auf das Mediabusiness haben: »Erstens: Nur was zählbar ist, zählt. Nur was vermeintlich messbar ist und einen kurzfristigen ROI verspricht, lässt sich in wirtschaftlich schwierigen Zeiten vor den eigenen CFOs verantworten. Diese Sicht von Marketing als reine Kostenstelle ist aus unserer Sicht aber viel zu kurz gedacht, weil der dadurch entstehende Verlust an Markenreputation später wieder mühevoll aufgebaut und hinsichtlich der Kosten überkompensiert werden muss. Zweitens: Bewegtbild ist nach wie vor King. Zusammen mit den immer stärker werdenden Reichweitenverlusten und den oft unflexiblen Investmentmodellen des Mediums TV boomt das Thema Digitales Bewegtbild schon seit geraumer Zeit. Der Start des werbefinanzierten Abo-Modells von Netflix Anfang November wurde geradezu wie ein Heilsbringer gefeiert. Und mit Disney+ steht schon der nächste verheißungsvolle Kandidat in den Startlöchern. Und drittens: Der ‚War for Talents‘. Auch wenn das kein medialer Trend im klassischen Sinn ist, so wird das Thema Fachkräftemangel unsere Branche noch stark beschäftigen.«

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Auf ein weiteres heißes Eisen weist Crossmedia-Manager Matthias Bade hin: Das Thema Nachhaltigkeit, das auch in der Mediaplanung immer wichtiger werde. »Nicht nur, weil die Verbraucher Nachhaltigkeit fordern, sondern auch, weil der Gesetzgeber den Firmen klare Vorgaben ins Pflichtenheft schreibt. Es wird zukünftig immer relevanter werden, welchen CO2-Fußabdruck eine Plakatkampagne hat oder wie viele Emissionen die diversen Rechenzentren verursachen, die bei einer programmatischen Kampagne in der Wertschöpfungskette involviert sind. Die EU-Vorgaben zur nachhaltigen Berichterstattung werden uns alle dazu zwingen, nicht nur über Kompensation, sondern auch über die Vermeidung von CO2 nachzudenken. Und davon werden sämtliche Kanäle – von Print bis Social Media – betroffen sein.«

Auch Bades Kollege Sebastian Schichtel, ebenfalls Managing Director bei Crossmedia, weist darauf hin, dass sich die Werbeindustrie in Zukunft noch intensiver mit Fragen der Nachhaltigkeit auseinandersetzen muss: »Die zukünftigen Anforderungen an Werbetreibende und Agenturen werden weit über die reine CO2-Kompensation hinausgehen und neben Fragen zum Klima- und Umweltschutz auch Themen
der sozialen Gerechtigkeit und Governance umfassen. Nicht zuletzt auch, weil eine junge Generation von Marketern und Werbern dies von ihren aktuellen und zukünftigen Arbeitgebern einfordern wird.«

Schichtel nimmt auch Stellung zu einem weiteren viel diskutierten Branchenthema: der personalisierten Online-Werbung. Auch wenn Google das geplante Cookie-Aus erst einmal verschoben hat: Welche neuen Ideen gibt es in dem Bereich? »Aktuell gibt es zahlreiche Initiativen und Ansätze, die auch in einer Post-Cookie-Ära wirkungsvolle und zielgerichtete Digital-Kampagnen ermöglichen sollen«, so Schichtel. »Erste Tests mit ID-Lösungen und kontextuellen Ansätzen lassen hier durchaus hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. Welche Lösungen letztlich im Einzelfall zum Einsatz kommen werden, wird aber nicht zuletzt auch durch die kundenspezifischen Anforderungen bestimmt. Klar ist jedoch, dass nur jene Ansätze zukunftsfähig sein werden, die dem wachsenden Wunsch der Konsumenten nach Schutz ihrer Privatsphäre Rechnung tragen.«

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Zum Print-Artikel

Das vollständige Interview mit Matthias Bade und Sebastian Schichtel sowie weiteren Experten lesen Sie in Markenartikel, Ausgabe 1-2/2023.

© Jan Ladwig