Die „neue“ Kreation – das Ende des Bermudadreiecks

Armin Schroeder, Geschäftsführer von CROSSMEDIA Digital, findet, dass Media- und Kreativagenturen in der Zukunft viel enger zusammenrücken müssen, um die Übersetzung von Kreativkonzepten in der digitalen Welt zu ermöglichen:

Wer hat noch nicht von den sonderbaren Geschehnissen innerhalb des Bermudadreiecks gehört. Ähnlich verhält es sich mit vielen Informationen, Rahmenbedingungen, Ursachen für das kommunikative Bermudadreieck zwischen Kunde, Kreation und Media. Das ist so, seit die „Mad Men“ Media und Kreation nicht mehr auf der gleichen Büroetage machen und die beiden Disziplinen viel zu oft getrennte Wege gehen. Viele würden auch heute noch hinter vorgehaltener Hand behaupten, dass Kreation und Media – sofern man wenigstens über das gleiche Medium spricht – getrost aneinander vorbeilaufen können.

Diese Sichtweise wird jedoch schnell als überholt entlarvt, wenn das erste Mal der Art Director mit AdServer-Daten wie CpL oder Verweildauer, Deckungsbeitrag und Co konfrontiert wird.
Die Leistung der Media ist durch Performance-Marketing, Digitalisierung und entsprechender Messung nachvollziehbarer als je zuvor; und damit selbstverständlich auch die Kreation. A/B-Tests und der Vergleich der Klickfreudigkeit von Motiven können wir (hoffentlich) als Standard verbuchen, darüber hinaus wird den „neuen“ Möglichkeiten jedoch noch viel zu wenig Aufmerksamkeit gezollt.

Warum sollte sich das gerade jetzt ändern?
Auf Performance-Seite sind die Potenziale oft ausgeschöpft – das Wachstum generiert sich eher aus einem in der Gesamtheit wachsenden Markt. Mehr Google geht halt nicht mehr, Facebook verkauft nur bestimmte Produktsegmente und RTB hat mit Retargeting ohne bessere Datenbasis seinen vorläufigen Zenit erreicht. Gleichzeitig verändert sich die Situation der klassischen Medien – besser gesagt, sie verlagern sich wie TV sukzessive in digitale Übertragungskanäle. Die Zeit des „digitalen Brandings“ scheint endgültig angebrochen – und erfährt jetzt mit Programmatic Advertising und der damit verbundenen weiteren Automatisierung des gesamten Online-Geschäftes zusätzlichen Aufschwung.

Die neue Relevanz der Kreation
Automatisierung birgt aber gerade für Branding neue Möglichkeiten, noch näher an die Zielgruppe zu rücken. Nicht durch bessere Umfelder, sondern einen creative Fit, der bislang auf Basis des Umfeldes thematisch oder der Beschaffenheit deren Nutzerschaft abgeleitet wird. Auch hier ist die Möglichkeit, verschiedene Zielgruppensegmente mit passenden Motiven zu bespielen, immer Teil der Kampagnenarchitektur. Kreationskosten und ein schwer messbares Wirkungsplus sind in ihrer Effizienz wenig zu antizipieren und damit zu rechtfertigen.

Datenbasierte Kreation wird jedoch gerade diese Hürde schnell nehmen können – Werbemittel werden endlich dynamisch. Das dürfte auf fruchtbaren Boden fallen, da schon seit einigen Jahren immer mehr Technologie zur Messung eingesetzt wird (AdTracking, Visibility, Brand-Safety Tools, integrierte Zielgruppenanalyse etc.). Gerade für die Mediaagenturen entsteht damit ein neuer Verantwortungsbereich. BI-Abteilungen und Analysten gewinnen an Bedeutung. Daten und Werbemittel könnten durch die technologische Schnittstelle zwischen Kreation und Media zusammenrücken.

Was bedeutet eigentlich diese Technisierung der Kreation?
Aktuell werden Werbemittel lediglich im Bereich Retargeting dynamisch an den User angepasst. Sie blenden genau die Produkte ein, die der User im Shop angesehen, aber nicht gekauft hat. Wenn wir es jedoch schaffen, bestimmte Themen, Markenbenefits in der Datenbasis abzubilden, können auch die Branding-Werbemittel näher an die Bedürfnisse des einzelnen Betrachters angepasst werden.

Gelebte Praxis oder doch Umdenken?
Während zum Beispiel wir (Crossmedia) uns bislang darauf konzentriert haben, sehr engen Austausch mit den Kreativagenturen zu suchen, um Kampagnen zu inszenieren und intelligente Mechaniken zu entwickeln, gehen wir heute eben einen deutlichen Schritt weiter.

Während wir in den letzten Jahren Kreativagenturen unterstützt haben, Messtechnologien, Rich-Media-Elemente und passende „Call to Action“-Elemente in die Kreation zu integrieren, wird gerade die Umsetzung des Kreativkonzeptes immer häufiger von uns, der Mediaagentur geleistet. Dadurch ändert sich weder die Bedeutung, noch die eigentliche Rolle des jeweiligen Partners. Der Austausch findet aber auf einer neuen Ebene statt. Die Mediaagentur wird mit eigener Produktion ausgestattet, die für Kreativagenturen nicht Konkurrenz, sondern, ganz im Gegenteil, notwendiger Partner, der die Übersetzung des Kreativkonzeptes in die digitale Welt ermöglicht.
Der Trend der letzten Jahre, das Media und Produktion aus einer Hand kommen, startete natürlich vor allem im Performancemarketing und da im Speziellen im Bereich Retargeting.

Entstanden sind Produktionsabteilungen bzw. Flasher, die bereits nach kurzer Kampagnenlaufzeit die KPI auf den Tisch bekommen. Diese können ihren Teil der Optimierung besser leisten und neben den Optimierungen im Mediaplan die Kreation optimieren.
Trotzdem sind noch viele Fragen unbeantwortet. Vor allem die Frage nach der Datenqualität – und ob bzw. wann diese ausreicht, um mehr als Retargeting in den Standardplan aufzunehmen. Gerade dieser Umstand bremst die Entwicklung des automatisierten Einkaufs vor allem im Bereich Markenkommunikation und Branding.
Ein Umdenken, über den Umgang mit Zielgruppen, dem Verständnis von Umfeldern und deren Qualität – aber auch in der engen Zusammenarbeit mit der Kreation hat bereits angefangen.
Und da sind wir wieder, beim Bermudadreieck. Die Aufgaben liegen weniger auf Seiten des Kunden, vielmehr auf der Seite der Agenturen, gleichermaßen Media wie Kreation.

Die 5 goldenen Regeln der neuen Kreation

1. Sinnvoller Strukturwandel

Der Trend zur Hybridität von Mediaberatern erfordert noch mehr Austausch innerhalb der Unternehmen und neue Wege des Wissenstransfers. Wichtig ist, Schnittstellen nicht nur für interne Abteilung auf- und auszubauen, sondern dabei gerade auch diese für Kreativagenturen bereitzustellen, gleichzeitig aber auch Ressourcen nicht nur für Messung und Analyse, sondern gerade für die Umsetzung zu schaffen. Ist nur eine Abteilung für neue „individualisierte Produkte“ tätig, besteht vor allem in großen Unternehmen die Gefahr, Verkäufer von Ideen im eigenen Hause zu werden. Die größte Gefahr ist dementsprechend die Bildung neuer Fronten.

2. Offenheit in Kopf und im Prozess

Sind die Ressourcen geschaffen, müssen diese Mitarbeiter lernen mit Externen so eng zusammenzuarbeiten, als säßen sie einen Tisch nebenan. Das erfordert Prozesse und eine Führung, die ebenso wenig isoliert über Unternehmensgrenzen hinausdenkt. Alle Beteiligten müssen wissen, was im Zusammenspiel von Daten, Technologie und der Zielgruppe möglich, was sinnvoll ist.

3. Von der Zielgruppe zum Individuum

Es gilt nun, dieses höhere Involvement durch Zusammenspiel der Kanäle auf die nächste Ebene zu führen. Die der Individualisierung. Damit werden aus dem Storytelling für viele das Storytelling für jeden einzelnen, aus einem Erzählsprung unzählige Optionen, die wiederum nur automatisiert ausgesteuert werden können.

4. Prozesse haben noch mehr Götter als die Effizienz

Wahrnehmung, Akzeptanz und Werbeerinnerung können nicht in Form von harten Parametern in Echtzeit gemessen werden. Das Bauchgefühl und die Erfahrung müssen weiter erlaubt sein. Während der Kreative das in seiner DNA verinnerlicht hat, müssen dies nun auch alle anderen Beteiligten beherrschen. Hier gilt es, neben dem Prozess und der Technologie die passenden Mitarbeiter zu entwickeln. Eine große Herausforderung.

5. Echtzeit-Medien erfordern Echtzeit-Kreation

Wenn man Kreativ- oder Mediawettbewerbe als Indikator für die Trends und Schwerpunkte der Werbung betrachtet, wird deutlich, dass vor allem Inszenierungen, Social Media und Second Screen bereits in den Köpfen angekommen sind. Spannend wird, wie wir es gemeinsam schaffen, Botschaften in Echtzeit an individuelle Bedürfnisse anzupassen, ohne den „Zalando-Effekt“ aus dem Performance-Marketing zu erzeugen, ohne aufdringlich und indiskret zu agieren. Wird hier investiert, wird Werbung auch wieder dankbarer angenommen.

Fazit:
Effizienzgewinn und Vereinfachung bzw. Automatisierung sind die ersten Effekte der digitalen Entwicklungen. Aber gerade die bereits seit Jahren stattfindende (Wieder-)Vereinigung der Mediaplanung und Produktion birgt viel Potenzial – und Mühe.  Aus unserer Sicht werden wir jedoch nicht umhin kommen, das Medium in allen Facetten zu nutzen, um dann wiederum aus einem Media-Euro mehr zu machen.

Über Armin Schroeder:
Armin Schroeder ist von Geschäftsführer CROSSMEDIA Digital. Schroeder greift auf seine langjährige Expertise in den Bereichen Markenkommunikation, New Media und Technologie zurück. Nach Stationen in verschiedenen Kreativagenturen sowie als geschäftsführender Gesellschafter der Firstgate Systems, wechselte der mediale Allrounder 2006 zur netzwerkunabhängigen CROSSMEDIA und wagte den Schritt in die Mediabranche. Seit 2012 verstärkt er als Geschäftsführer die Führungsebene der Mediaberatungsagentur und verantwortet das digitale Geschäft.Mit Hilfe seiner Erfahrungen wurde der Bereich Digital in den letzten Jahren signifikant auf- und ausgebaut. Schroeder verantwortet heute über das Kernfeld Online-Media hinaus auch die Bereiche Business Intelligence (Smart Data), Search/Performance, Mobile sowie Produktion und Tooldevelopment

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