Werbemarkt erneut im Umbruch

30 Jahre Privatfernsehen: Markus Biermann im Gespräch darüber, wie das Medium den Werbemarkt veränderte und vor welchen neuen Herausforderungen die Sender heute stehen.

Am 1. Und 2. Januar 1984 fiel mit Sat.1 (hieß damals noch Programmgesellschaft für Kabel und Satellitenrundfunk PKS) und RTL (RTL plus) der Startschuss für das Privatfernsehen in Deutschland. Für den Werbemarkt kam dies einer Revolution gleich. Die nächste Revolution aber geht vom Internet aus.

Trotz vielfacher Ausrutscher in die Niveaulosigkeit und der harten Kritik und Häme der Feuilletonisten ist das Privatfernsehen heute nicht mehr aus der Medienlandschaft wegzudenken – vor allem nicht für die Werbewirtschaft. […] ‘new business‘ sprach mit den Mediaexperten Andrea Malgara, Geschäftsführer Mediaplus Gruppe, Juergen Kievit, Head of TV und Mitglied der Geschäftsleitung der Omnicom Media Group Germany, und Markus Biermann, Gründer und Geschäftsführer von Crossmedia, über die Folgen des Privatfernsehens für den Werbemarkt und die aktuellen Herausforderungen vor dem Hintergrund der zunehmenden Fragmentierung des Marktes, der Digitalisierung und der Verschmelzung von TV und Internet. […]

nb: Vor 30 Jahren kam das Privatfernsehen nach Deutschland. Wie hat das Medium den deutschen Werbemarkt seitdem geprägt und verändert? […]

Markus Biermann: Die Einführung des Privatfernsehens hat den Werbe- und Mediamarkt verändert wie keine Entwicklung zuvor. Sie war zu seiner Zeit für die Branche eine Revolution. Die nächste hat mit der Digitalisierung Einzug gehalten. Die Privaten gewannen an Reichweite, Publikum und Umsätzen. Vorbei die öffentlich-rechtliche Unbeschwertheit von ARD und ZDF. Die Privaten gaben schnell selbstbewusst den Takt an und preschten mit einer TKP-Garantie vor. Schon bald formierten sich die beiden Vermarkterblöcke im TV-Lager, die bereits Mitte der 90er den Markt in Duopol dominierten. Heute heißen sie IP und SevenOne Media. Die fortan rasante Entwicklung der Mediabranche resultierte aus dieser Entwicklung. Agenturen und Werbungstreibende monierten fortan jährlich zu hohen Preissteigerungen im TV-Geschäft. Diesen wurde mit TKP-Optimierung begegnet. Der Run auf die günstigsten Werbeplätze hatte begonnen.

nb: Wie sahen die Folgen aus?

Biermann: Die 90er waren das Jahrzehnt der Mediaagenturen. Es gab eine wahre Gründungswelle. Mit dem Erstarken des Privat-TV und der neuen Vielfalt im Mediamix wurden neue Agenturen gegründet, ehemalige Mediaabteilungen aus den großen Kreativagenturen ausgegliedert und verselbstständigt. Mit dem Angebot wuchs die Konkurrenz. Es wurde zunehmend mit härteren Bandagen gekämpft. Da wurde von Lockvogel- und Dumpingangeboten zum Nulltarif berichtet. Es kommt zur Bündelung der Kräfte – Mediaagenturen schließen networkübergreifende Allianzen. Sie haben erkannt: Mehr Volumen führt zu mehr Macht – und Einkaufsmacht. Die Konditionenschraube wurde immer weiter angezogen. Die Agenturen suchten sich eine weitere Einnahmequelle und ließen sich immer öfter auch von den Medien zur Provisionierung ihrer Buchungsvolumen bezahlen. Die Zeit der Kickbacks und Agenturrabatte waren geboren. Nur mühsam konnten sich die Branchenverbände OMG und OWM auf einen ‘Branchenknigge‘ einigen, den Code of Conduct. Bis heute geht das Ringen in der Mediabranche und insbesondere in den Networkagenturen weiter…

nb: Wie bewerten Sie die programmliche Entwicklung des Privatfernsehens in den vergangenen 30 Jahren?

Biermann: In den ersten Jahren war es eine große Spielwiese. Fast alles hat funktioniert. Dass die Sender damals trotz des trashigen Programms, aber der noch nicht messbaren Reichweite Werbegelder aquirieren konnten, hat einen einfachen Grund: Die Werber liebten die neue Spielwiese. Nicht nur, weil Fernsehen als ideales Werbemedium galt  – bis heute übrigens, sondern vor allem, weil die Werbeflächen bei den öffentlichen-rechtlichen Sendern so knapp waren wie die heutige Ressource Aufmerksamkeit. Was 1984 anfing war in ihren Grenzen eine beschauliche ‘Kulturrevolution‘ – ob diese zum Besseren oder Schlechteren der Menschheit ausfiel, ist auch eine Geschmacksfrage. Ob Politik, Kultur, Werbung, Unterhaltungsindustrie, Medien – kein Feld, das durch den Markteintritt des kommerziellen Fernsehenes nicht verändert worden wäre.

nb: Die Sender stehen heute vor neuen Herausforderungen: Web-TV, Second Screen, TV-Apps und VoD machen dem linearen Programm Konkurrenz. Wie können die TV-Anbieter vor diesem Hintergrund ihre Existenzberechtigung für die nächsten 30 Jahre sichern? […]

Biermann: Sie müssen mehr Risiko wagen. Mut haben, in neue und qualitativ hochwertige Inhalte und Programmformate zu investieren. Diese müssen kanal- und plattformübergreifend funktionieren. Die Sender müssen sich zu Fullservice-Anbietern entwickeln und ihr lineares Programm durch Second Screen-Angebote, Web-TV, Video-on-Demand oder exklusive Previews ergänzen. Wenn sie auch im digitalen Bereich gut aufgestellt sind, können sie von der Verlagerung der Werbeerlöse profitieren. Nur relevante Formate werden auch in der digitalen Welt einen Mehrwert bieten. Wer aber schon im TV wenig Relevanz hat, bietet auch im digitalen Bereich wenig Anreiz.