Liebe Werbungtreibende, lasst uns gemeinsam eure Marken reanimieren!

Viele Unternehmen konzentrieren sich bei der Planung ihrer Markenkommunikation auf kurzfristige KPIs, denn diese lassen sich schnell auf Erfolg optimieren. Doch die inkonsistente Strategie schadet der Marke - über die Hälfte des wertbildenden Effekts von Werbung entsteht nämlich erst langfristig. Mit welchen Mitteln Unternehmen und Agenturen gemeinsam die Transformation zu echter Markenarbeit angehen können, veranschaulicht Markus Biermann in einem Meinungsbeitrag auf HORIZONT.net:

Crossmedia-Chef Markus Biermann sorgt sich um die Zukunft von Marken. Heutzutage werde im Marketing in zu kurzen Zeiträumen gedacht und vieles auf den schnellen Erfolg optimiert. Hier sein – natürlich nicht ganz uneigennütziger – Appell für eine Rückkehr zu echter Markenarbeit.

Die Welt des Marketings, irgendwann in der nahen Zukunft: Unternehmen sind ihre eigenen Totengräber geworden. Durch den Verzicht auf konsistente Markenkommunikation haben sie nach und nach mühsam aufgebaute Werte vernichtet. Media-Inhouse-Silos belasten ihre Gewinn- und Verlustrechnung und verbauen den Blick auf eine neutrale Sicht der Dinge. Marketer bitten ihre Agentur nicht länger, Empfehlungen auszuarbeiten, Pro & Cons zu bewerten oder in Szenarien zu denken. Alles, wonach sie fragen, sind Dashboards. Jede neue Strategie ist immer so gut wie die KPIs von gestern. Aus Gestaltern, aus Marktmachern sind Hörige geworden. Hörige eines kurzfristigen Optimierungswahns.

Das Problem dabei: Der immer kürzere Zeithorizont, vor dem Kommunikationserfolge betrachtet werden. Mehr als die Hälfte des wertbildenden Effekts von Werbung entsteht aber erst langfristig – nur etwa ein Fünftel wiederum ist in kurzfristigen Attribution Modellings abbildbar. Auf genau diesen kurzfristigen KPIs wiederum werden aber Analysen für die Zukunft berechnet. Und ja, zugegebenermaßen fühlt sich das für keinen der Beteiligten richtig gut an, aber wenigstens ist man schnell unterwegs. Und selbst wenn man ahnt, dass man eigentlich gerade dabei ist, sich übelst zu verfahren, gibt man lieber nochmal extra viel Gas, anstatt rechts ran zu fahren und nochmal über die Route nachzudenken.

Das ist Hamsterrad pur. Schlimmer: Einbahnstraßen-Hamsterrad. Und nein, es ist – anders als der Einstieg dieses Textes es suggeriert – kein Zukunftsszenario. Es ist bereits gelebte Realität! In verschiedenen Märkten erleben wir derzeit eine massive Steigerung der Werbeaufwendungen, bei gleichzeitigem Einbruch der Markenwerte. Das wird eilfertig, über alle Kanäle und in alle Hierarchien hinein unisono den wegbrechenden Reichweiten der klassischen Medien zugeschrieben – was ziemlicher Nonsens ist.

Das Problem liegt ganz woanders. Wenn ich als Maßgabe eben nur kurzfristige KPIs zulasse, mich selber mit der Optimierung von Kleinstteiligem auseinandersetze und verdränge, dass Marken nicht wegen ihres Preises gekauft werden, dann darf ich mich doch nicht ernsthaft wundern, dass meine Markenwerte erodieren, oder?

Aber Unternehmen lassen sich lieber von aktionistischen Aufsichtsräten ins Digitale schicken, optimieren ohne Strategie ihren kurzfristig Erfolg bis sie wund werden und tragen Geld zu Monopolisten, die morgen aus ihren Daten einen Wettbewerbsvorteil in eigener Sache schaffen. Gleichzeitig reden sie lautstark von Quantensprüngen im Marketing und übersehen dabei ironischerweise, dass Quanten eigentlich eine der kleinsten physikalischen Einheiten sind. Hauptsache, ich bin agil und tue viel – so scheint zumindest die Devise.

Die schöne neue Marketingwelt, sie muss nicht zwingend in dem oben beschriebenen, düsteren Szenario enden. Noch geht es darum, eine realitätsferne Utopie anzustreben. Aber so langsam sollte allen klar werden, dass es höchste Zeit zum Handeln ist! Unternehmen brauchen wieder mehr Mut – Mut, auch über den kurzfristigen und kurzlebigen Erfolg hinaus zu denken. Sie brauchen den Mut, sich beraten zu lassen, unabhängig, neutral und ehrlich. Und sie brauchen die Konsequenz, sich diese wertstiftende Beratung auch etwas kosten zu lassen.

Und ja, eine Agentur darf auch gerne mit ins Risiko gehen. Es geht darum, gemeinsam zu gewinnen. Als Partner, Seite an Seite. In diesem Sinne will ich an dieser Stelle einmal ganz deutlich und klar sagen: Liebe Werbetreibende, lasst uns gemeinsam das Wertvollste, was ihr besitzt, reanimieren – eure Marke! Erst dann kommen wir in der wirklichen Transformation an, werden unabhängiger von Google & Co. und können das Einbahnstraßen-Hamsterrad hinter uns lassen.