Weniger schwarz-weiß

Im Marketing wird sich mehr und mehr auf die Messbarkeit verlassen. Das ist eine Entwicklung, die dem Brandbuilding schaden kann, sagt Sebastian Schichtel, Geschäftsführer bei CROSSMEDIA, in der neuesten Ausgabe der W&V. Markus Biermann, Gründer der unabhängigen Mediaagentur, kommt ebenfalls zu Wort:

Kommunikation ist heute so gut messbar wie nie zuvor. Folge: Es wird taktischer agiert und optimiert. Das schadet dem Brandbuilding, heißt es. Doch Media- und Kreativagenturen sehen die neue Mess-Realität gelassener und plädieren für ein besseres Miteinander.

Es waren Worte, wie sie in dieser Klarheit selten von einem Mediaagentur-Manager zu hören waren. Markus Biermann, Chef von Crossmedia, hielt den angestauten Frust nicht länger zurück: Aus Gestal­tern, aus Marktmachern sind Hörige geworden. Hörige eines kurzfristigen Optimierungs­wahns, lautete seine scharfe Kritik an die Adresse der Werbungtreibenden. Es werde immer kurzfristiger reagiert und nur mehr auf kurzfristige Resultate ge­schielt. Biermann: Marketer bitten ihre Agentur nicht länger, Empfehlungen auszuarbeiten, Pro & Cons zu bewerten oder in Szenarien zu denken. Alles, wonach sie fragen, sind Dashboards.
Das saß. Und war doch nur ein weiterer Höhepunkt in einer Debatte, die zuvor von Adidas befeuert worden war. Denn den Herzogenaurachern war nach einer Analyse eigener Daten zur Mediastrategie bewusst geworden, dass markenbildende Maßnahmen die Abverkäufe zuverlässiger steigerten als performance­orientierte Werbung in digitalen Kanälen.

Das war vor Corona. inzwischen, nach zwei Jahren Pandemie, haben digitale Werbung und E-Commerce einen gewaltigen Schub erlebt. Hat das zur Folge, dass noch mehr gemessen und optimiert wird? Und was sagen Media- und Kreativagenturen dazu?
Die Pandemie war mit Sicherheit ein Treiber hin zu kurzfristigen, vertrieblichen Maßnahmen, sagt Sebastian Schichtel, Geschäftsführer bei Crossmedia, das sei nachvollziehbar. Aber man dürfe nicht vergessen, dass gerade starke Marken besser durch diese Zeit gekommen seien. Und hinter diesen stünde in der Regel eine langfristige Kommunikationsstrategie. Allerdings könne diese immer schwerer im Unternehmen implementiert werden. Denn die digitalen Messmöglichkeiten befriedi­gen die tiefe Sehnsucht der Kunden nach Kontrollierbar­keit der Werbung. lch muss heute als Marketing mit den Ergebnissen kurzfristiger Messmetriken die lnvestitio­nen für morgen sichern. Das könne der Marke schaden.

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Also alles gut? Sebastian Schichtel schüttelt den Kopf: Wir haben es mit dem Siegeszug der Taktik über die Strategie zu tun, so der Manager. Wir müssen schon aufpassen, dass Agenturen nicht zum Markenhospiz werden. Die aktuelle Entwicklung kann dazu führen, dass Agenturen auf die Rolle als verlängerte Werkbank und die reine operative Umsetzung und Implementie­rung von taktischen Maßnahmen reduziert werden, legt er nach.

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Auch Schichtel nimmt alle Akteure in die Pflicht. „Es besteht die Gefahr, dass wir mit großem Aufwand am langfristigen Unternehmenserfolg vorbeioptimieren. Wir müssen daher gemeinsam mit dem Kunden, aber auch den Auditoren zu einem neuen Miteinander kommen.

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Dieser Artikel erschien erstmals in der W&V, Ausgabe 3/2022.

Foto 1: Sebastian Schichtel | © Jan Ladwig
Foto 2: Markus Biermann | © Jan Ladwig