Sorgenkind mit Potenzial

Raffael Weber und Axel Ahlbrecht über Tageszeitungen und deren Wert als Werbeträger:

Tageszeitungen, früher Leuchttürme der lokalen und regionalen Kommunikation, spüren wie keine andere Gattung die Dynamik der Digitalisierung. Auflagen und Reichweiten sinken. Um gegenzusteuern, müssen sie ihre lokale Kompetenz wieder stärken.

Die Tageszeitungen sind unter Druck. Während Auflagen und Relevanz schwinden, steigt die Nutzungsintensität von digitalen Angeboten stark an. Gerade deshalb ist die Maxime „all business is local“ wieder wichtiger denn je. Noch sind Tageszeitungen und in großen Teilen auch die Anzeigenblätter beispielsweise für den Handel als Trägermedium unverzichtbar. Doch wann wird dieser Markt kippen? Wann wagt es einer der großen Spender, den Werbekanal Tageszeitung komplett den Rücken zu kehren? Sobald einer der Großen die Lawine lostritt, wird sie nicht mehr aufzuhalten sein. Leider, so macht es den Anschein, werden erst dann die Alarmglocken in den Chefetagen der Verlage läuten – mit allen Folgen für Politik und Gesellschaft. Die Ausführungen sollen kein Abgesang auf gedruckte Zeitungen sein. Aber in der Branche muss etwas passieren.

Die Zeiten haben sich geändert

Warum so drastisch? Ganz einfach: Für den Anfang 30-jährigen Raffael Weber ist jede Zeitung gestapeltes, buntes Altpapier mit Informationen vom Vortag. Das Problem ist, dass er nicht der Einzige im Lande ist, der keine Beziehung zur gedruckten Tageszeitung hat. Seine mediale Liebe, sowie die aller Jahrgänge ab 1980, ist vor allem digital. Dieser Fakt lässt die Zukunft der Tageszeitung doch recht mau aussehen – auch auf dem Feld, das ihr ureigenes Revier ist: das Lokale. Selbst die zaghaften Versuche, in Form von Online-Plattformen mitzuhalten, zeigen, wie antiquiert das Verständnis zeitgemäßer Informationsvermittlung ist. Zudem führt der rigorose Sparzwang in den Redaktionsbüros dazu, dass die Online-Inhalte anscheinend willkürlich aus DPA und Reuters zusammengewürfelt werden, gepaart mit Lokalmeldungen von der örtlichen Poststelle. Die Frage lautet: Wie schaffen es Zeitungen, Menschen wie Raffael Weber wieder vom gedruckten Exemplar zu überzeugen, um damit wieder relevant für Markenartikler zu werden?

Es ist auf jeden Fall nicht ausreichend, dass die Vermarktungsstrukturen der einzelnen Häuser zentralisiert werden, um nationale Marken zu akquirieren. Denn hier fehlt häufig die lokale Kompetenz der Verkäufer. Sicherlich würde ein Zeitungsvermarkter wie Lotus helfen, damit Planer das Medium wieder in ihren Mediaplan aufzunehmen. Dennoch wird es auch für Lotus natürlich Grenzen geben.

Die immer wiederkehrende Frage, welche Rolle die Tageszeitung noch bei Werbungstreibenden spielen und für welche Produkte und Marken sich überhaupt Werbung in gedruckter Zeitung lohnt, sind obsolet. Hier wird häufig in Schwarz-Weiß-Kategorien gedacht. Häufig dreht sich die Marketingwelt immer noch um die in Deutschland 1984 eigeführte Zielgruppe der 14- bis 49- Jährigen. Natürlich wird die Soziodemographie mit weiteren Daten gematcht, aber kaum jemand im Bereich Marketing nutzt dieses Pfund an Daten wirklich für die lokale Kommunikation.

Lokalität als Hebel für Markenerfolg

Warum sollten Marken diese Dimension dennoch ernst nehmen? Es liegt auf der Hand: Wir alle sind lokal beheimatet, leben und konsumieren in unseren individuellen räumlichen Milieus, die heute unterschiedlicher nicht sein könnten. Vergessen sollte man allerdings alles, was uns die Sinus- und Sigma-Milieus mit ihren Standardmodellen auch noch 2016 weismachen wollen. Die heutigen lokalen Welten, ihre Menschen sowie ihre Konsumgewohnheiten sind komplexer denn je und daher auch für Markenartikler herausfordernder. Gleichzeitig ist man als Marke oft nicht flächendeckend distribuiert, so dass der lokale Fokus zur Vermeidung von Ineffizienzen hochrelevant ist.

Es ist zwingend notwendig, Lokalität als Hebel des eigenen Markenerfolges zu begreifen. Die Chance, mit Hilfe von Geo- und Marktdaten im Lokalen zu agieren und somit die Zielgruppe in ihren täglichen Umfeldern mit einer Prise Lokalkolorit zu erreichen, ist da. Zeitungsleser sind zwar vergleichsweise alt, aber auch kaufkräftig. Marken mit solch einem Zielgruppenfokus können so entsprechende Zusatzpotentiale in den Regionen und lokal heben. Für jüngere relevante Zielgruppensegmente könnten Zeitungen die erste lokale Plattform sein, wenn sie denn wollten.

Verleger müssen umdenken

Es geht darum, den einzelnen Menschen zu erreichen, seine Bedürfnisse zu erkennen und sogar vorherzusagen. Und hier hätten die Verlagshäuser eine echte Chance, in den Mediaplänen wieder aufzutauchen. Es geht nicht mehr um die einfache Anzeige oder Beilage. Die Verleger müssen handeln. Doch da sie meist nur als Geschäftsführer eingesetzt werden, verstehen sie von einer gut gemachten Zeitung nicht viel und schaffen es nur selten, den lokalen Bezug aufzubauen.

Dabei sind die Verleger eigentlich die Local Heroes: Sie kennen die Händler, die Menschen sowie die konsumierten Produkte im Verbreitungsgebiet ihres Mediums. Ob Zeitung, Anzeigenblatt, Lokalfunk, Onlineplattform oder Vertriebsstrukturen – ihnen steht alles zu Verfügung. Doch zu oft fehlt schlicht die Zeit, diese Kanäle zu bündeln und schlagkräftig zu vermarkten. Dabei könnten die Responsewerte gut gemessen werden und somit auch der Erfolg der Tageszeitung.

Umdenken und von Gewohnheiten lösen

Warum muss denn eigentlich jeden Tag ein gedrucktes Exemplar auf dem Tisch liegen? Reichen denn nicht drei Ausgaben pro Woche, mit den Hintergrundgeschichten zu den Meldungen, die über die Onlineausgaben eh schon publiziert werden? Den Rest der lokalen Meldungen könnten die Anzeigenblätter zweimal pro Woche übernehmen. Das wäre aber nur der Anfang. Technisch möglich sind heute schon die personalisieren Ausgaben. Und wenn der Mut beim gedruckten Exemplar fehlt, könnte man sich als ersten Schritt dem E-Paper annehmen. Den Werbungtreibenden müssten hier dann integrierte Lösungen angeboten werden. Aktuell versuchen die Zeitungen, über Reichweiten zu punkten und die Zeitungs Marketing Gesellschaft (ZMG) ist wirklich bemüht, die Fähnchen hochzuhalten. Aber erreichen die Informationen und Maßnahmen wirklich die richtigen Personen? Und was fangen diese damit an?

Mit Leidenschaft für die Tageszeitung

Verleger sollten ihre Chance nutzen, um jetzt noch das Ruder umzuwerfen. Sie sollten wieder Verleger sein, ihre lokale Kompetenz stärken und nicht den nationalen Playern den Markt überlassen. Sie sollten vor Ort präsenter sein und mit Leidenschaft ans Werk gehen und sich nicht kaputt sparen. Nur wenn das gelingt, werden die Verlagshäuser wieder in den Fokus der Werbungstreibenden kommen. Wenn diese Anforderungen erfüllt sind, hat die Tageszeitung wieder die Chance, im relevanten Set der Zielgruppen und somit auch der Kommunikationsplaner seinen berechtigten Platz zu finden.

*Raffael Weber ist als Unit Direktor für den Bereich Geo Intelligence bei Crossmedia verantwortlich und betreut die Felder Media und Local Business. Zuvor war er für das Handelsmarketing auf Unternehmensseite bei der Metro Group Asset Management zuständig und betreute wissenschaftliche GIS-Pilotprojekte an der Universität Köln.

* Axel Ahlbrecht bringt rund 25 Jahre Erfahrungen im Bereich Geo- und Handelsmarketing mit. Nach Stationen bei der Metro Group und Möbel Roller leitete er neun Jahre bei Mediaedge:cia den Bereich Handelsmarketing. Seit 2008 zeichnet er für die von ihm aufgebaute Unit für Geo- und Handelsmarketing bei der Düsseldorfer Mediaberatungsagentur Crossmedia verantwortlich.

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