„Querkopf“– Portrait Markus Biermann

Im Rahmen der Debatte um Transparenz im Mediageschäft, erschien nun ein Portrait von Markus Biermann. Der Crossmedia-Geschäftsführer hat die Dinge schon immer auf seine Art gemacht. Mit seiner Agentur sucht er nach einem alternativen Weg im Mediageschäft. Ein Weg, der nicht immer einfach ist.

Das Selbstverständnis der Agentur Crossmedia ist verewigt in dunkelbrauner Farbe auf hellem Sperrholz. Eine 16-Quadratmeter-Wand aus Sprüchen, Schlagworten und Bildern empfängt den Besucher gleich am Eingang. „Selber denken macht schlau“ steht da. Oder „Wer nicht zankt, der liebt nicht“. Agenturchef Markus Biermann steht am Empfangscounter und schaut zufrieden auf sein Werk. „Das ist Ausdruck unserer Kultur“, sagt er. Die Bilderwand nennen sie hier auch „Kulturmanifest“. Aber eigentlich ist sie auch ein direkter Blick in die Gedankenwelt des Chefs. Besonders groß hat  Biermann dort das Wort „Unabhängigkeit“ schreiben lassen. Es ist das Zentralmotiv der Firmengeschichte, vielleicht sogar seiner Lebensgeschichte. Unabhängigkeit bedeutet für ihn nicht nur, dass seine Agentur keinem der großen Werbekonzerne angehört. Biermann will eigentlich von nichts abhängig sein: nicht von den Spielregeln des Mediagewerbes, nicht von Kunden, nicht mal von einer persönlichen Assistentin. Er hat keine. „Ich mag es nicht besonders, wenn mir jemand sagt, was ich tun soll“, sagt er. Biermann hat deshalb meist das gemacht, was er für richtig hält. Für seine Agentur hat er sich ein besonderes Modell ausgedacht. Es ist kompliziert. Es ist umstritten. Und es ist in diesen Wochen, in denen die Geschäfte von Mediaagenturen wieder kritisch diskutiert werden, vielleicht aktueller denn je. Dieses spezielle Crossmedia-Konzept ist auch jetzt Thema, im Konferenzraum nebenan. Ein Team um Digital-Geschäftsführer Armin Schroeder hat eine Präsentation vorbereitet. Sie soll morgen den Marketingverantwortlichen eines potenziellen neuen Kunden vorgestellt werden. Auf der Leinwand leuchtet der zentrale Satz auf: „Crossmedia – die einzige Agentur, die sich von ihren Kunden bezahlen lässt und nicht von den Medien.“

„Wir liefern alles wieder bei unseren Kunden ab“

Bei dem Thema ist Biermann in seinem Element. Es hat viel mit ihm selbst zu tun. Er wird sein Modell auch morgen früh vor der Kundendelegation wieder engagiert vertreten. „Wir sammeln auch Geld von den Medien ein“, erklärt er. „Aber wir kehren alles aus und liefern alles bei unseren Kunden ab.“ Crossmedia ist die einzige Agentur, die sich das auch von einem Wirtschaftsprüfer bestätigen lässt (Grafik Seite 59). Jeder Kunde bekommt am Ende des Jahres einen ausführlichen Transparenzbericht, in dem jeder Cent verbucht wird. Es geht um Unabhängigkeit: Kein Deal mit einem Vermarkter soll darüber entscheiden, ob bestimmte TV-Spots im Mediaplan landen. Biermann will nicht nur behaupten, „dass unsere Empfehlungen hundertprozentig neutral sind“. Er will es auch belegen. Die Regel des Gewerbes ist anders. Die Deals der Mediaagenturen sind jüngst wieder in die Kritik geraten. Bis zu 100 Mio. Euro Extravergütungen zahlen nach Recherchen von W&V allein deutsche TV-Vermarkter jährlich an Agenturen (W&V 30/2015). Die sogenannten Kickbacks fließen heutzutage durch juristisch wasserdichte Kanäle in die Kassen der Mediaholdings: über Zahlungsmodalitäten, Serviceleistungen oder Extrarabatte. Hinzu kommen lukrative Trading-Deals: zum Spottpreis eingekaufte Werbeflächen, welche die Agenturen mit hohem Gewinn weiterverkaufen können. Es ist also vor allem das Geld ihrer Kunden, mit denen Agenturen Traumrenditen erwirtschaften – in der Branche ist von über 30 Prozent die Rede. Die eigentlichen Honorare sind dagegen vergleichsweise kümmerlich: Nur 1,5 Prozent des Budgets kassieren Mediaagenturen nach Expertenschätzungen für ihre Beratungs- und Planungsdienste. Dieses Spiel, das einst Staatsanwälte und das Kartellamt ermitteln ließ, ist inzwischen längst legalisiert und akzeptiert. Seit 2007 gesteht auch der Werbetreibendenverband OWM in seinen Musterverträgen den Agenturen den Status einer „eigenen Handelsstufe“ zu. Werbekunden können selbst entscheiden, wie frei sie Agenturen mit ihrem Werbespielgeld agieren lassen.

„Ich will auch nicht als Don Quixote rumlaufen“

Biermann aber will genau das nicht sein: eine eigene Wirtschaftsstufe. Er bevorzugt die althergebrachte Rolle des „Treuhänders“. Sein Modell setzt auf die Trennung von Einkauf und Planung. Aber der 50-Jährige ist auch kein Michael Kohlhaas, der gegen das System rebelliert. Seine Crossmedia distanziert sich zwar vom System, bleibt aber doch Teil davon. Auch Biermann muss bisweilen nach Regeln spielen, die er nicht mag. Aber, so sagt er, er hat keine andere Wahl. Kritisiert wird Biermann vor allem deshalb, weil er im wichtigsten Werbemarkt Fernsehen mit der Networkholding Dentsu Aegis kooperiert – der zweitgrößten Einkaufsmacht im deutschen Mediageschäft. Das Network aus Wiesbaden steht für genau das Großhandelsmodell, das Biermann für seine eigene Agentur ablehnt. Aegis ist zwar kein exklusiver Partner, aber doch der mit Abstand wichtigste. Etwa 80 Prozent des TV-Inventars kauft Crossmedia über Aegis ein. Aber Crossmedia ist eben keine große Agentur, allerdings auch keine ganz kleine. Um in dieser Liga mitzumischen, braucht Biermann die Partnerschaft mit einem der Mediagroßhändler, sagt er. Die Aegis-Allianz verschaffe ihm Zugriff auf „wettbewerbsfähige Konditionen“. Sich aus dem Einkaufsgeschäft zurückzuziehen, lehnt er ab. „Ich will auch nicht als Don Quixote rumlaufen und eine reine Planungsbude aufmachen. Wir stehen nun mal nicht außerhalb des Markts.“ Es ist ein schwieriger, erklärungsbedürftiger Weg, den Biermann da eingeschlagen hat. Dabei könnte er es sich einfacher machen Wahrscheinlich würde die Agentur ohne die selbst auferlegten Abstinenzregeln mehr Gewinn machen. Crossmedia schreibt keine Profitmargen von 30 Prozent, es sind eher fünf bis zehn Prozent. Nicht alle Kunden wollen sich Transparenz auch etwas kosten lassen. „Das ist sehr schwer zu vermitteln“, sagt er und wirkt dabei aufrichtig ratlos. Theoretisch müsste sich Biermann vor Kunden kaum retten können. Schließlich fordern die Werbekunden und ihr Verband OWM ja seit Jahren mehr Transparenz beim Mediaeinkauf. Zumindest in der branchenpolitischen Rhetorik steht das Thema grade wieder ganz oben auf der Agenda (W&V 36/2015). Unter den Crossmedia-Kunden finden sich aber kaum OWM-Mitglieder. Biermanns große Klienten sind Handelshäuser wie Lidl, Hornbach oder Tamaris. Die Art von Firmen also, deren Managern eigentlich nachgesagt wird, dass sie beim Einkauf mit besonders spitzem Bleistift rechnen.

Substanziell streiten muss schon sein

Aber Markus Biermann ist grundsätzlich kein Typ, der es sich leicht macht. Er ringt beim Reden manchmal um Worte, sucht stets die noch treffendere Formulierung. Und er liebt es, mit Kollegen und Kunden über den besten Weg zu streiten. Den Etat der inzwischen in Air Berlin aufgegangenen Deutschen BA hat mal er gewonnen, weil er sich mit seinem Geschäftsführerkollegen Holger Zech beim PitchTermin „so substanziell gestritten hat“. Er hat auch schon mal einen Marketingchef kurz vor Vertragsunterschrift angeschrien. Es gibt Kunden, denen so etwas imponiert. Drei Tage später kam der unterschriebene Vertrag. „Wer nicht zankt, der liebt nicht.“ Biermann ist kein Choleriker, eher ein Mann der klaren Worte. Ein Kind des Ruhrgebiets, in Mülheim aufgewachsen, bei der WAZ-Gruppe in Essen lernt er den Beruf des Verlagskaufmanns. Einen wie ihn nennen sie hier eine ehrliche Haut. Den direkten Umgangston der Region pflegt der Familienvater bis heute. Und einen eigenen Kopf hatte er von Anfang an. Schon der junge Biermann war „streitbar und akribisch“, erinnert sich Michael Jäschke, einer seiner Ausbilder bei der Agentur BMZ More Media. Dort hat Biermann Anfang der 90er-Jahre das Mediahandwerk gelernt. Dass der „mal Unternehmer wird, hat sich früh abgezeichnet“, sagt der heutige Chef der Hamburger Agentur JOM. Biermann macht in den folgenden Jahren bei der Düsseldorfer Agentur Optimedia und der Omnicom-Gruppe schnell Karriere. Mit nur 32 Jahren macht er sich selbstständig und gründet 1997 Crossmedia. Diese Mentalität der Selbstständigkeit und des Selberdenkens verlangt Biermann bis heute auch von seinen Leuten. Er lässt sie an der langen Leine. Auch jetzt, als ihm Andrea Schroeder und der aus Hamburg angereiste Unit-Direktor Gero Maskow die Strategie erklären, mit der sie morgen den potenziellen Kunden überzeugen wollen. Biermann hört viel zu, gibt nur ein paar Hinweise und Anregungen. „Die sind schon groß“, sagt Biermann, „die sollen mal machen.“ Vor ein paar Tagen hat Biermann den neuen Trainees die Agentur vorgestellt. Er hat zu ihnen gesagt: „Ihr habt auch mal das Recht, euren Vorgesetzten zu übergehen.“ Für diese Freiheit verlangt er aber auch Eigenverantwortung. Und bisweilen „Extrameilen“ – auch so ein Schlagwort aus dem Kulturmanifest. Das Pitch-Team wird noch bis in die frühen Nachtstunden an der Präsentation arbeiten. „Selber Denken macht schlau.“ Der Spruch stammt von Biermanns Lateinlehrer. „Damals habe ich die Bedeutung nicht begriffen“, sagt er und lächelt. „Aber später schon.“

 

Crossmedia in Zahlen und Fakten

• Fakten: Crossmedia ist die dritte Kraft unter den inhabergeführten Mediaagenturen in Deutschland. Der Marktbeobachter Recma listet die Agentur mit einem Mediavolumen von 275 Mio. Euro auf Platz 14 seiner deutschen Mediaagentur-Rangliste. Für Crossmedia arbeiten rund 200 Mitarbeiter. Neben der Düsseldorfer Zentrale gibt es Büros in Hamburg, Berlin und New York.
• Kunden: Finanzstärkster Kunde ist der Discounter Lidl. Crossmedia verantwortet zudem die Mediabudgets der  Baumarktkette Hornbach, der Otto-Tochter ECE, der Aktion Mensch sowie des Schnapsbrenners Berentzen. Zuletzt
gewann die Agentur den Etat des Streamingdienstes Spotify.
• Töchter und Partner: Zu Crossmedia gehören mehrere Tochteragenturen aus verwandten Kommunikationsdisziplinen: die PR-Tochter Cross-PR, der Geo-Media-Spezialist Kiez-Quadrat sowie die Social-Media-Agentur Earnesto. Crossmedia arbeitet zudem bei vielen Kunden eng mit (ehemals) Network-unabhängigen Kreativagenturen wie Heimat oder Lukas Lindemann Rosinski zusammen.
• Geschichte: 1997 gründete Markus Biermann Crossmedia als erste Onlinemediaagentur zusammen mit der Werbeagentur Rempen & Partner. Seit 2001 ist Biermann Hauptgesellschafter.
• Gesellschafter: 80 Prozent der Anteile hält seitdem Gründer Markus Biermann. Die übrigen 20 Prozent teilen sich heute die Co-Geschäftsführer Martin Albrecht, Stefan Happe, Georg Tiemann und Holger Zech.

 

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