Kehrseite der Digitalisierung

Armin Schroeder über Intransparenz-Fallen im Digitalen:

Der elektronische Handel mit Werbeplätzen ist bisweilen nur schwer zu durchschauen. W&V beschreibt die Intransparenz-Fallen

Das Dilemma des digitalen Werbegeschäfts passt auf ein einziges Blatt Papier. 485 Firmenlogos stehen dort dicht gedrängt in 24 Blöcken: Adnetworks, DSPs, SSPs, Ad-Server-Anbieter, Performance-Spezialisten. Es gibt viele Rollen in dem Spiel namens Programmatic Advertising – aber wenig Übersichtlichkeit.

Die US-amerikanische Technologieberatung Luma Partners hat sich auf solche Übersichtsgrafiken spezialisiert. Es sind moderne Landkarten einer digitalen Welt, die sich für Werbungtreibende immer undurchdringlicher präsentiert. Ihren eigentlichen Zweck, Orientierung zu schaffen, erfüllen sie kaum noch. Die bunten Wimmelbilder aus Logos und Kästchen sind längst zu Symbolen einer neuen Unübersichtlichkeit geworden. Marketingmanager klagen über die wachsende Komplexität ihres Geschäfts. Joachim Schütz, Geschäftsführer des Werbekundenverbands OWM, stellt fest: „Die Wertschöpfungsketten sind komplexer und damit undurchsichtiger als in der analogen Welt.“ […]

Die neue Technik hat ein altes Problem verschärft. Nicht erst seit gestern ringen Werbekunden und Mediaagenturen um die Transparenzfrage. Das weitverzweigte Onlinegeschäft aber hat die Problemzonen potenziert. Im digitalen Handel werden Milliarden von Ad-Impressions auf elektronischen Börsen verkauft. Ähnlich wie im elektronischen Aktienhandel wird dafür kein Telefonat mehr geführt und kein Fax verschickt. Den Deal wickeln Maschinen in Sekundenbruchteilen ab. Dieses Geschäft ist schneller, sehr viel kleinteiliger und komplexer als die Schaltung einer Anzeige oder eines TV-Spots. „Der automatisierte Einkauf ist kein Game-Changer für das Thema Transparenz“, sagt Armin Schroeder, Digital-Geschäftsführer der Düsseldorfer Agentur Crossmedia. […]

Eine alte Gretchenfrage im digitalen Gewand

Es ist die alte Gretchenfrage, die diesmal im digitalen Gewand auftaucht: Kann eine Mediaagentur gleichzeitig unabhängiger Berater und Werbeplatzhändler sein? Sie stellt sich im digitalen Echtzeithandel allerdings in einer viel größeren Dimension. Statt um eine Handvoll Anzeigen oder Spots geht es um Millionen von Onlinewerbekontakten.

Die Agenturen argumentieren mit ihrer Rolle als eigene Handelsstufe. […]

Tatsächlich funktioniert das programmatische Werbegeschäft im Kern nicht viel anders als der Handel mit TV-Spots oder Anzeigen. Nur ein kleiner Teil der Werbekontakte wird tatsächlich in offenen Auktionen versteigert. Der Großteil basiert auf sogenannten Private Deals, schätzen Marktexperten. Dort vereinbaren Vermarkter und Agentur im Voraus Basispreis und Volumen und legen vor allem Umfelder fest. Über einen Zugangscode können diese Kontingente dann programmatisch von der SSP-Plattform des Verkäufers abgerufen werden. „Da gibt es letztlich keinen Unterschied zu einer klassischen Umfeldbuchung“, sagt Crossmedia-Mann Schroeder. Aber auch die Kehrseiten sind offenbar ähnlich wie in der Klassik. Auch hier bezahlen Medien und Publisher Agenturen dem Vernehmen nach dafür, überhaupt in den Mediaplan aufgenommen zu werden. Diese Kickback-Varianten des digitalen Zeitalters sollen über Werbekostenzuschüsse oder Technikgebühren laufen. Sie seien letztlich „noch schwerer nachzuvollziehen als in der Klassik“, sagt ein Mediaexperte. […]