Zwischen Wahnsinn und Glaubwürdigkeit

In welchem Verhältnis Qualität und Quantität für eine gelungene Influencer Relation stehen müssen, weiß Social Media-Experte Johst Klems, Geschäftsführer bei earnesto:

Einige Werbetreibende nehmen viel Geld in die Hand, um mit Influencern zu werben und die junge Zielgruppe zu erreichen. Doch lohnt sich dieser Aufwand überhaupt?

Wenn ich früher von der Schule gekommen bin, habe ich bei den Hausaufgaben MTV eingeschaltet und die Geschichten rund um Anastasia, Markus Kavka und Johanna Klum geschaut. Eine feste Anlaufstelle zu Teenyzeiten, die mir die Welt erklärt und zusätzlich die Tür zum großen, weiten Glitzerkosmos geöffnet hat. Promis, Lifestyle, Gaming, coole Typen – alles Themen aus dem Leben. Neben MTV und Viva gab es natürlich noch weitere, in ihrer Anzahl aber überschaubare Medien, wie die ‚Bravo‘ oder ‚Popcorn‘-Magazin, die mir in meiner Jugend Orientierung gegeben haben. Von ihnen haben wir gelernt, was angesagt und cool ist und das hatte zwangsläufig auch mit Marken und Produkten zu tun. Nachfolgende Generationen hatten es schon schwerer: MTV und Viva wurden privatisiert, ‚Bravo‘ und Co. verloren an Bedeutung, denn Print war einfach uncooler als Online. In dieser Zeit wurde YouTube geboren – eine neue Plattform für eine neue Generation. Der Unterschied? Content wurde von den Zuschauern selbst gemacht – die Geburtsstunde der Influencer. Professionelle Unterhaltung war nicht mehr angesagt. Das Wort, welches uns in Bezug auf Influencer bis heute begleitet, wurde erfunden und gelebt: Authentizität.

Aus dem Kinderzimmer. Für das Kinderzimmer.

Selbstgemachtes Entertainment zu Themen, die eine Generation beschäftigt. Von Menschen, die darüber sprechen, wie sie die Themen erleben. Mit einer Publikumsresonanz, die so manchem TV-Programmchef die Dollarnoten in die Augen zaubern würde! Aller Kritik zum Trotz sprechen Follower-, View-Zahlen und Interaktionsraten der Influencer eine eindeutige Sprache: Influencer sind Teil einer Medienlandschaft geworden, die nicht  nur aus der einen Lösung besteht. Viele Wege führen nach Rom und Influencer Marketing ist ein Weg, auf dem der ‚Streitwagen des Kommunikationserfolges‘ schneller durch die Lande zieht. Bleibt die große Frage nach dem Wirkungsbeitrag: Was bringt es? Was ist es wert? Ist es wirksamer, als andere Kommunikationsmöglichkeiten? Diese Fragen bewegen in Zeiten von BigData. Wir haben das Bedürfnis, an Kommunikationsmaßnahmen ein Maßband anzulegen. Denn wir wollen Gewissheit. Schwarz auf weiß. Und das zu Recht, wie ich finde. Jedoch ist die Sache so nachvollziehbar, wie schwierig.

Quantität – das Maß aller Dinge?

Influencer Relation hat zwei Komponenten – Qualität und Quantität. Eines der beiden Q´s ist dabei einfach zu messen: Reichweiten, Interaktionsraten, Likes – all diese Parameter sind messbar und können in ein Verhältnis gesetzt werden. Ähnlich wie in der PR jahrelang Praxis, können für Leistungswerte Äquivalente gebildet werden: Ich weiß heute ganz genau, wie viel Geld ich in Adwords stecken muss, um 1 Mio. Klicks auf mein YT-Video zu erreichen. Bei 0,90 Ct. pro Klick kommen da schon stolze Summen zusammen. Ein Productplacement mit einem Influencer, der diese Leistungswerte liefert, bewegt sich hinsichtlich der Kosten zwischen 50.000 und 200.000 €. Insgesamt ein guter Deal für den Werbetreibenden, legt man die im Vergleich dazu erhaltenen Views zugrunde. Auch für 2.000 Likes auf einen Instagram-Beitrag habe ich Mark Zuckerberg schon so einige Ads abgekauft. Das Einmaleins der Annäherung von Äquivalenzwerten. Ein Bloggerevent, welches 2 Mio. Kontakte, also Interaktionen in Form von Likes, Kommentaren oder Shares, zur Folge hat, hat 2 Mio. Kontakte generiert. Das Werbemittel ist der Content des Influencers. Die Zielgruppe ist jedoch weniger gut nachzuweisen, als bei überprüften Medien, wie z.B. TV oder teilweise auch Online. Menschen folgen Menschen in sozialen Netzwerken aus Sympathie, aus Neugierde. Alter ist eine Schublade, in die Follower nicht reinpassen. Persönlichkeit und Menschen zählen. Hier kommen wir zum zweiten Q: Qualität.

Ist Qualität messbar?

Marken geben und gaben sehr viel Geld aus, um neben Will Smith im Kino gesehen zu werden. Der positive Imagetransfer inklusive, erreichen diese Filme Millionen von Menschen – Influencer Relation folgt denselben Mechanismen. Ihre Superkraft ist die, dass der Zuschauer grundsätzlich Sympathie für das hat, was er da sieht. Er folgt Niemandem auf Facebook und Co., den er uninteressant findet. Warum sollte er auch? Ein unschlagbarer Mehrwert und allein schon ein Grund, um aufzuhorchen.

Hinzu kommt, dass wir in einer Welt leben, in der Orientierung wichtiger denn je zuvor ist – unendliche Möglichkeiten verunsichern nicht nur junge Menschen. Auf den Kaufentscheidungsprozess bezogen bedeutet dies, dass die ‚Consideration-Phase‘, also die Phase, in der ein Produkt für den möglichen Kauf bewertet wird, an Bedeutung gewinnt: Passt der Sneaker zu mir? Wer trägt den? Werde ich in eine Schublade gesteckt, in die ich nicht gehören will, wenn ich ihn trage? Zu stylisch? Zu prollig? Zu Mainstream? Influencer geben Antworten auf diese Fragen. Sie geben Marken das, was Marken nicht haben und was kein TV-Spot in der Form leisten kann. Wenn ein „Wow, ich liebe diese Schuhe!“ von der jungen Frau ertönt, die ich insgeheim ein wenig um ihr Leben beneide, die so einen tollen Style hat und dazu noch hübsch ist, schaue ich schon genauer auf die Schuhe.

Stellt sich die Frage, ob die Qualität leidet, wenn zu oft Marken und Produkte in die Kamera gehalten werden. Bestimmt! Allerdings leiden dann auch die Reichweiten des Influencers, denn der User kann selbst entscheiden, ob er ihm weiterhin folgt. Die Praxis zeigt, dass Influencer aus diesem Grund Produkte supporten, die zu ihnen passen. Das passiert zwar nicht immer, aber die Branche lernt dazu, es wird professioneller. In gewisser Weise drückt sich die Qualität des Influencers dann quantifiziert in seinen Follower-Zahlen aus. Aus diesen beiden Q´s, Qualität und Quantität, entsteht der Erfolg – und der ist messbar! Allerdings lässt er sich leider nicht in eine universelle Formel gießen.

Das Ziel bestimmt die Messbarkeit des Erfolges

Wenn ein Schuhmodell im Social Web durch Blogger zum Leben erweckt wird, ausschließlich dort beworben wird und nach wenigen Wochen online ausverkauft ist, ist das ein deutlicher Beleg für eine gelungene, positive Werbewirkung. Der ROI ist anhand der Zahlen klar zu benennen und der Erfolg kann eindeutig der Relation zugeordnet werden. Schwierig wird es, wenn Influencer Relation Teil einer multimedialen Kampagne ist. Dann ist ein selektiver Wirkungsbeitrag genauso schwer nachzuweisen, wie bei anderen konventionelle Medien. Eine Weltformel für die Messbarkeit gibt es nicht – es muss nur klar sein, dass Auswahl und Durchführung von Influencer Relation anders funktioniert. Die Qualität der Influencer muss zum Produkt, bzw. zur Marke passen. Die Wirkung, die entsteht, ist dann durch die Quantität skalierbar und kann nach Äquivalenten aus der Branche bewertet werden. Eigentlich gar nicht so schwer…

Und während ich so schreibe, läuft auf Youtube ein altes Michael Jordan-Video. Coole Schuhe, die er da anhatte! Genau die, die ein wenig verstaubt noch heute meinen Schrank verschönern. Ich habe dazugehört. Ich war für 250 DM ein Baller.

Diesen Artikel finden Sie in der new business Ausgabe 51-52, Dezember 2016.

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