Vernetzung als Prinzip
Bei der Agentur Crossmedia ist der Name Programm. Crossmediale Kampagnen, bei denen alte und neue Medien miteinander vernetzt werden, und optimale Mediaplanung gehören für Markus Biermann zum Standard. Stolz ist der Gründer auf die Unabhängigkeit der Düsseldorfer Agentur.
Kopfsteinpflaster, alte Straßenbahnschienen, ein Innenhof aus Düsseldorfer Gründerzeit Fabrikanten. Wenn die Media-Agentur Crossmedia ihren Sitz im Creativ-Center Düsseldorf fand, hat das schon seinen Grund. Im besten, bodenständigen Sinne des Wortes. Denn hier wehte auch schon vor hundert Jahren der unabhängige Geist mutiger Unternehmer. Heute würde man sie Entrepreneure nennen. Damals war es ein Düsseldorfer Fabrikant, der hier seine Lakritzfabrik hinstellte. 1930 überraschte er die Süßwarenwelt mit einem Patent für Kaugummi ohne Gummi. Bekannt ist sein Produkt bis heute als Maoam: Die Abkürzung für: „Mundet allen ohne Ausnahme“. Ob das auch das Programm von Crossmedia ist? Die jüngsten Thesen ihres Chefs Markus Biermann haben ganz eigene Würze. Am Eingang zum alten Kesselhaus der Lakritzfabrik steht nun ein anderes Schild: Rotes Kreuz auf weißem Grund: Crossmedia. Ein Zeichen für eine der wenigen unabhängigen Media-Agenturen Deutschlands. Und ihr Gründer Markus Biermann ist stolz darauf, die Agentur vor zehn Jahren gegründet zu haben. Biermann selbst versteht sich dabei allenfalls als primus inter pares. Eher noch als Gleicher unter Gleichen. Doch er ist der Gründer und damit der Chef. Crossmedia ist das, was man eine inhabergeführte Agentur nennt. Keine Company, die unten rechts im Portfolio eines börsennotierten Werbekonzerns dem Controlling und einer „hundertprozentigen Outputoptimierung“ unterworfen ist, so Biermann. Profitmaximierung, das treibe die Großen an. Dabei hat auch Crossmedia genug Treibstoff, ein Großer zu werden. Derweil hat Biermann 72 Menschen unter Vertrag, in den vergangenen Jahren freute er sich stets über 15 Prozent Umsatzplus, und mit den Firmen CrossPR oder CrossResearch bastelte sich der Agenturboss ein eigenes kleines Crossmedia-Netzwerk. Wenn er über seine ersten Schritte in die Werbewelt erzählt, denkt man sich einem Herrn vom Kaliber Bernd Michael gegenüber. Doch Biermann ist 43 Jahre alt – und fing mit Werbung an, als die DDR noch real existierte. Biermann zeichnete für die erste kommerzielle Kampagne in der DDR verantwortlich. Und hatte damit zu kämpfen, dass er den gleichen Namen wie der DDR-Troubadour trägt. Nach Stationen bei BMZ, Optimedia, Jäschke Optimum Media ging Biermann 1996 in die Eigeninitiative.
Abgrenzung durch Online
Mit Crossmedia hob er die erste deutsche Media-Agentur aus der Taufe, die sich dem damals neuen Online-Medium verschrieb. Vier Jahre später wurde dann auch die Fessel des Networks Havas abgeschüttelt, um ohne Ketten des Konzerns frei zu sein. Seither navigiert er unabhängig durch die Medienlandschaft. Dabei hat er etwas von einem Odysseus. Er weiß, wohin er will, und lässt sich von niemandem reinreden. Erst vor kurzem hat das auch Thomas Koch veranlasst, zu Crossmedia zu kommen. Koch, bis zum Verkauf seiner Agentur an das Netzwerk Starkom Prototyp des Independents, denkt künftig unter dem roten Kreuz quer. Er ist jetzt eines von neun Mitgliedern der Geschäftsleitung, die Crossmedia steuern und mit Nachdruck sagen: Wir sind unabhängig. „Wir sind liebe, aber unbequeme Partner“, gibt Biermann ein Rätsel auf – und löst es sofort. Crossmedia schaffe es halt immer wieder, für den Kunden optimale Ergebnisse zu erzielen. Unabhängigkeit ist für ihn kein Selbstzweck, sondern Lebenselixier, Arbeitsmotivation – und Kundenglück. Denn das heißt „dass wir nicht sofort mit TV anfangen, wenn es um die Planung für ein neues Produkt geht“. Unabhängigkeit sei „kein nice to have, sondern Grundbedürfnis der Kunden“. Und dieser freie Geist durchweht nicht nur die offenen Etagen der Agentur. Er gibt auch Auftrieb, gegen die derzeitige öffentliche Meinung anzutreten. Früher schillerten meist nur kreative Agenturen. Die Schaltagenturen standen in zweiter Reihe. Doch mit der Höhe der Etats wuchs deren Einfluss – und die Begehrlichkeit. Das Stichwort: Kickbacks. „Ein systemimmanenter Fehler, wenn die Medien Zahlungen an die Agenturen leisten, diese davon ihre Beratung beeinflussen lassen und ihre Rolle als neutraler Mittler zugunsten eines Großhändlers aufgeben“, hat Biermann wenig übrig für die „stillschweigend“ geduldete Praxis, die jeder kannte – und die jetzt soviel Lamento provoziert. Wenn eine große Agentur Medialeistung bei TV, City Light, Zeitschriften einkauft, bleibt das „nicht ohne Auswirkungen auf die Konditionen“. Hier greifen marktwirtschaftliche Prinzipien. Wer viel und gut einkauft, bekommt gute Preise. Wer sie allerdings nicht an die Kunden durchreicht, handelt nicht als deren Treuhänder. Doch allein vom offiziellen Kundenhonorar kann eine Agentur maximal überleben, nicht aber 40 Prozent Profit abwerfen. Der Missbrauch habe Gesicht: Was ist denn, wenn eine Agentur aufwändige Studien für ein Medium erstellt, dieses dies großzügig honoriert – aber die Studie in den Papierkorb befördert. Auch so funktioniere Bezahlung. Biermann sieht sich gefeit. Er hat externe Wirtschaftsprüfer beauftragt, seine Geschäfte transparent zu machen. Doch Unabhängigkeit heißt nicht nur, den „Einkaufswahn“ den Großen zu überlassen. Dialektisch betrachtet: Aus Qualität wird auch Quantität. Unabhängigkeit heißt auch, mit analytischen Mitteln Mediaplanung zu betreiben, „das Bauchgefühl zu rationalisieren“ und besser und effizienter zu sein. Wenn andere Best Cases präsentierten, steckt Biermann lässig zurück. Best Cases habe er nicht zu zeigen, die meisten seiner Kampagnen seien Best Cases. Für ihn ist die optimale Mediaplanung der Normalfall – und keine zu rühmende Ausnahme. Biermann ist selbstbewusst – kein Zweifel. Crossmedia will nicht nur unabhängige Planung liefern, sondern auch besser sein als die anderen. „Unseres Wissens sind wir die einzigen, die semiometrische Methoden konsequent einsetzen, um mehr Affinität und eine bessere Performance zu erzielen“, so Biermann. „Jeder kann das, man muss nur Zeit haben.“ Und die fehle den großen Network-Agenturen. Crossmedia halte nichts von extra inszenierten Show Cases. Die methodisch gestützte Aussteuerung jeder Kampagne sei Standard. „Wir packen es anders an.“ Touchpoint Planning nennt Biermann „Prozess und Methode“, alte und neue Medien zu vernetzen. Dabei werden die Dispositionen der Nutzer präzise analytisch erfasst, berücksichtigt und mehrkanalig bedient.
CROSSMEDIA: Daten und Fakten der Agentur Gründungsjahr: 1997. Unabhängig inhabergeführt seit 2001. Geschäftsführung: Markus Biermann Stellvertretende Geschäftsführer: Mitarbeiter: 72 Standorte und Tochterunternehmen: Anzahl Kunden: 55 Kundenliste (Auszug): Billings 2007: 243 Millionen Euro |
Vernetzung als Prinzip
Nomen est Omen – Crossmedia setzt alle heute verfügbaren Medien-Kanäle ein. Zu besichtigen ist derlei „total communication planning“ etwa beim Kunden Hornbach. Der Baumarkt mit dem Faible für junge Schrauber und Bohrer ließ die Kreativ-Agentur Heimat und Crossmedia machen. „Hornbach wollte Leute mit eigenem Kopf, weil die Kampagnen unkonventionell sein sollten“, so Biermann. Crossmedia hauchte dabei auch der Kunstfigur Ron Hammer mediales Leben ein. Viele lernten sie zunächst auf Youtube kennen. Als Ron mit dem Motorrad über einen Baumarkt springen wollte – und dabei jämmerlich scheitere. Des einen schadenfrohes Hei-Ho – war des anderen Erfolg im viralen Marketing. Und auch sonst legte sich Ron Hammer derart für Hornbach ins Zeug, dass der Baumarkt Bekanntheit und Umsatz steigern konnte. Die kreative Leistung der Heimat will Biermann dabei keineswegs schmälern – im Gegenteil, wenn er sagt: „Es kommt natürlich immer auf Furore an, die von den Kreativen stammt. Doch es kommt auch darauf an, diese Furore möglichst gut zu verteilen, damit alle etwas davon haben.“
„Es geht nicht um moralische Kategorien“
Interview mit Markus Biermann
media spectrum: Die Branche steht – ganz anders als in den vielen Jahren erfolgreicher Arbeit zuvor – im Licht der Kritik. Wie hat Crossmedia auf die Situation reagiert?
Biermann: Crossmedia ist die erste Media-Agentur, die externe, unabhängige Wirtschaftsprüfer beauftragt hat, regelmäßig die Aktivitäten nach außen hin offen zu legen. Unsere Kunden können damit erkennen, für welche Medien wir arbeiten, welche Konditionen wir erreichen und dass wir unabhängig sind.
media spectrum: Die großen Agenturen haben dieses Transparenzmodell bisher ignoriert?
Biermann: Was die Großen machen, ist uns egal. Wir sind unabhängig, weil es sich für unsere Kunden auszahlt. Wir sind auch unabhängig vom Einkaufswahn der anderen.
media spectrum: Dann lassen Sie Kickbacks außen vor?
Biermann: Nein, sofern Sie Kickbacks als Form der Gewährung von Sonderkonditionen betrachten, die den Kunden verursachergemäß weitergeleitet werden. Wir treten nicht als Händler auf, der seinen Profit generiert…
media spectrum: …, den Sie durch Aegis erledigen lassen. Kein Eiertanz? Also durchaus wieder nach dem Motto: Masse statt…
Biermann: In keiner Weise: Wir verstehen uns als Kommunikationslogistiker, nicht als Massengut-Transporter. Wir haben die Schnittstelle Einkauf – Planung ans Ende der Mediaplanung verlegt, um lösungsneutral loslegen zu können.
media spectrum: Und wie stehen sie mit einer solcher Avantgarde-Position bei der OMG dar? Der Verband sieht die Agenturen als Handelsunternehmen auf einer eigenen Stufe…
Biermann: …, aber nicht als unabhängige Wertschöpfungsinstanz im Wertschöpfungsprozess Media-Planung. Bis es zum Eklat kam, ließen sich doch alle feiern. Jeder wusste, dass das Modell einen immanenten Systemfehler hat, weil die Beratungsleistungen ohne Kickback und Sonderkonditionen kaum marktgerecht zu honorieren sind. Dank Kickbacks waren Margen von 20 bis 40 Prozent drin. Das haben viele gewusst und geschwiegen. Keiner hatte den Mut zu sagen, „ohne Kickbacks muss ich für 90 Euro arbeiten“. Dafür gibt’s nun mal keine Management-Beratung.
media spectrum: Und: So what, wer hatte den Schaden? Den Kunden wurden zwar die Sonderkonditionen nicht durchgereicht. Unterm Strich aber bekamen sie mehr Leistung.
Biermann: Ein Irrtum. Aber es geht mir nicht um moralische Kategorien. Es geht auch um die Media-Nachteile für den Kunden. Wer sich von der einfachen großen Zahl leiten lässt, erhält einen vermeintlich hohen Zusatzrabatt. Aber wie hoch muss der Rabatt sein, damit aus „passt gerade noch“ ein „sitzt wie angegossen“ wird? In bestimmten und auch nicht wenigen Fällen ist klar auszumachen, dass mangelnde Affinität – eine Voraussetzung für Werbewirkung – mit Rabatt kompensiert wird. So what? Eben nicht: in diesem Falle müsste das Zugeständnis bei 15 bis 20 bis 30 Prozent liegen. Und warum sollte ein Kunde sich für so eine Kampagne entscheiden? Das ist Profitmaximierung der Agenturen und nichts anderes. Die Frage, ob die Kunden das jedoch wissen oder aufgezwängt bekommen, ist eine andere.