So positionieren sich die Mediaagenturen in der großen Facebook-Debatte

Wie wirkt sich der gegenwärtige Facebook-Boykott auf die Werbeindustrie aus? HORIZONT bittet deutsche Mediaagentur-Manager um ihre Einschätzung der Debatte - darunter auch Armin Schroeder, geschäftsführender Gesellschafter bei CROSSMEDIA:

Es war viele Jahre so etwas wie das große Nicht-Thema der Branche: Wie hält es die Werbeindustrie mit Facebook und ihrer eigenen gesellschaftlichen Verantwortung in dem Spiel? Seit dem Werbe-Boykott großer Unternehmen ist alles anders – auch wenn noch völlig offen ist, wie nachhaltig die Aktion ist und ob sie wirklich etwas bewirkt. Nun nehmen erstmals auch hochkarätige Mediaagentur-Manager ausführlich Stellung.

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Frage 1:
Theaterdonner oder Trendwende: Wie nachhaltig ist der Werbeboykott gegen Facebook? Und: Halten Sie die Kritik an Facebook für gerechtfertigt?

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Armin Schroeder, Crossmedia: #StopHateForProfit hilft, eine überfällige Diskussion zu intensivieren. Google/Youtube stand in den vergangenen Jahren vor vergleichbaren Herausforderungen und auch hier kann man kritisch hinterfragen, inwiefern die beschlossenen Maßnahmen in Bezug auf Brand Safety greifen oder nicht. Wie nachhaltig der jetzige Werbeboykott ist, hängt von verschiedenen Fragestellungen ab. Die Bandbreite ist groß – von der erfolgreichen Einigung auf gemeinsame Brand-Safety-Standards mit dem globalen Kundenverband WFA, über eine Corona-bedingte Bereinigung von Mediabudgets bis hin zur Optimierung des Facebook-Algorithmus zur Erkennung von Hate Speech. Letztendlich wird die Diskussion auch von der weiteren Entwicklung im amerikanischen Wahlkampf abhängen. Es bleibt also spannend.

Frage 2:
Sind Sie in Gesprächen mit Facebook Deutschland? Und wenn ja: Wie zufrieden sind Sie mit der Kommunikation und den Maßnahmen, die Facebook jetzt ergreift?

Armin Schroeder: Facebook zeigt eine hohe Bereitschaft, sich der Diskussion zu stellen, mit uns und im direkten Dialog mit den Kunden. Die Offenheit zeigt sich auch darin, dass das Facebook Team in Deutschland mehr als Pressetext-Plattitüden bereithält und sich weiter öffnet. Auch das ist – vor allem im Vergleich mit anderen marktdominierenden Plattformen – mehr als wir (realistisch) erwartet hätten. Wie erfolgreich die resultierenden Maßnahmen sind, bleibt abzuwarten – es geht letztendlich nicht um eine deutsche Entwicklung, sondern eine internationale.

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Frage 3:
Eine aktuelle Studie von Karen Nelson-Field bescheinigt Bewegtbildwerbung auf Social Media eine schwache Werbewirkung. Martin Krapf von Screenforce kommentiert die Ergebnisse wie folgt: „Youtube, Facebook und auch Instagram sind offensichtlich nur für eingeschränkte Kampagnenziele und für eine überschaubare Anzahl von Produkten sinnvoll.“ Hat Martin Krapf recht? Und haben Google, Facebook und Amazon Nachholbedarf in Sachen Werbewirkungsforschung?

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Armin Schroeder: Die Diskussion sollte nicht zu polemisch geführt werden. Kontakt war noch nie gleich Kontakt. Dass TV im direkten Vergleich zu Bewegtbild im Digitalen ein geringeres Glückspiel ist, darf man dabei natürlich nicht vernachlässigen. Die Schwankungsbreite der Wirkung ist im Digitalen deutlich höher, es spielen mehr Faktoren eine Rolle – so ist zum Beispiel die Kreation in digitalen Kanälen ein noch größerer Hebel. Der Blick auf die Analysen der US-Plattformen zeigt, dass hier häufig amerikanisch simplifizierend und taktisch geprägt Studien und Cases präsentiert werden, die meist wenig verallgemeinbar sind. Letztendlich bilden diese Kanäle eben nur einen Teil einer Gesamtkampagne ab. Ein Blick über den Tellerrand ist erforderlich und lohnenswert. Dabei gilt die Kritik aber nicht den GAFAs alleine. Der gesamte Markt hat sich auf Proxy-Werte, also kurzfristige Hilfs-KPI fokussiert. Hier beobachten wir langsam eine längst notwendige Entwicklung – unter anderem in der Diskussion mit Facebook. Es startet ein Schwenk auf belastbare Business-KPI und langfristige Indikatoren – hier sehen wir unsere Rolle als Berater und neutralen Vertreter unserer Kunden.

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Frage 4:
These: Facebook/Instagram, Google/Youtube und Amazon werden gestärkt aus der Coronakrise hervorgehen und deutlich Marktanteile gewinnen. Richtig oder falsch?

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Armin Schroeder: Die Veränderungen werden fortgeschrieben. Der Corona-Effekt wird Entwicklungen beschleunigen, aber nicht dramatisieren. Aber ja, ich bin sicher, dass die Anteile der Portale weiter wachsen. Zur weiteren Entwicklung: Selbst das vierte Quartal ist noch wenig prognostizierbar. 2021 ist eine noch größere Glaskugel. Corona wird auch im nächsten Jahr eine Rolle spielen und muss bei Kampagnen als externer Einfluss berücksichtigt werden.

Die Fragen stellte Jürgen Scharrer

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