Real-Time-Bidding – schöne neue Welt?

REAL TIME BIDDING

Autorenbeitrag von Armin Schroeder, Leiter Digital bei CROSSMEDIA, zum Thema Real-Time-Bidding:

RTB oder ausgeschrieben „Real Time Bidding“ hat den Weg über den großen Teich gefunden. Wer sich das erste Mal mit diesem automatisierten Einkauf beschäftigt, könnte fast glauben, dass damit Maschinen – ähnlich wie im Film „Matrix“ – unsere Welt übernehmen. Demnächst bräuchten wir keine denkenden Mediaberater mehr, sondern nur noch Praktikanten, die nach den Plänen einer Planungswundermaschine argumentieren. Selbstdenken bitte ausschalten. Aber Stopp. So weit ist es noch nicht – und wird es wohl auch nicht. Fangen wir also vorne an.

Was ist Real Time Bidding?

Während bislang von der Mediaagentur in der Regel feste Kontingente zu einem Fixpreis bei einem Vermarkter, AdNetwork oder einer AdExchange eingekauft wurden, wird beim RTB nun jede einzelne Werbeeinblendung vor dem eigentlichen Kauf von der Käuferseite auf Tauglichkeit und Wert für den Werbetreibenden überprüft. Gekauft wird nur, wenn der User interessant ist. Wohlgemerkt, hier geht es nicht mehr um den Einkauf von Umfeldern, sondern um eine AdImpression – (weitestgehend) unabhängig vom Inhalt des Werbeträgers.

An dem Echtzeit-Handel sind verschiedene Akteure beteiligt: der Anbieter (also Seitenbetreiber), Vermarkter, die ihre Werbeplätze über eine SSP (Sell Side Plattform) aggregiert anbieten, Handelsplattformen wie AdExchanges oder DSPs (Demand Side Plattform), die diese Werbeplätze ähnlich der Börse handeln, und Agenturen oder DEMs (Display Engine Marketing Anbieter), die auf den einzelnen Werbeplatz bzw. User bieten.

Schauen wir etwas genauer hin: Eine Webseite wird aufgerufen. Der Mensch, der hinter diesem Aufruf steckt, wird über seinen Browser bzw. über die (idealerweise vorhandenen) Cookies auf seinem Rechner identifiziert. Allerdings nicht als Individuum, sondern als anonymisiertes Profil mit Hinweisen dazu, welches Geschlecht er (theoretisch) hat, aus welcher Region er (laut seiner IP voraussichtlich) kommt, für welche Themen er sich (wahrscheinlich) interessiert, welche Werbemittel er in den letzten Wochen gesehen hat, welche er geklickt hat und welche Aktivitäten er auf der Website des Werbetreibenden gezeigt hat. Hat die Website die zur Verfügung stehenden Werbeplätze über eine Handelsplattform für den Real Time Handel freigegeben, wird der Werbeplatz den interessierten DSPs angeboten. Deren Systeme prüfen nun, ob der User auf eine der eingebuchten Kampagnen passt. Innerhalb von wenigen Millisekunden wird vom System des potenziellen Käufers entschieden, ob der User eventuell schon einmal ein Werbemittel der gleichen Kampagne gesehen hat (Retargeting), aus der richtigen Region (Regiotargeting) kommt oder sich im passenden Alterssegment (Soziodemographisches Targeting) befindet. Passt der User, entscheidet die Maschine gemäß der vom Käufer vorgegebenen Regeln, wie viel für diesen Werbeplatz geboten werden soll. Bei konkurrierenden Angeboten gewinnt das höchste Gebot in Form eines CpM. Der Gewinner (Agentur) der Mini-Auktion kann nun das Werbemittel ausliefern. Der User bemerkt von diesem Prozess nichts, da er parallel zum Seitenaufbau stattfindet, der im Schnitt ca. 2-3 Sekunden dauert. Insgesamt ist der Ablauf vergleichbar mit dem, was wir aus dem Suchmaschinenmarketing kennen.

Soweit klingt das schon mal ziemlich gut. Aber es zeigt auch schon erste Sollbruchstellen. Die erste betrifft das Profil: Wenn nur jeder Dritte seine Cookies löscht, im „private Modus“ surft oder seine Datenerhebung schlichtweg nicht ausreichend ist, muss sich das System auf statistische Hochrechnungen verlassen. Diese sind zwar schon recht erwachsen, bieten aber immer nur eine relative Treffgenauigkeit. Die zweite Schwäche betrifft die Bedienung des Systems: Während die AdManager sich wenig mit Auslieferungs-Regeln auseinander setzen müssen, wird beim RTB der Anspruch an das Aufsetzen einer Kampagne höher. Nicht umsonst nennt sich etwa Mexad „Display Engine Marketing Agentur“ (DEM) – vergleichbar mit der SEM Agentur, die Suchmaschinen-Kampagnen aufsetzt. Womit wir auch schon beim dritten Punkt wären: der Reichweite. Während im SEM Bereich die Fronten für den Moment relativ klar gesteckt sind, ist der RTB Markt noch stark in der Entwicklung.

Benötigt man auf der einen Seite sehr viele markierte User, die ein zum Werbeplatz passendes Profil haben, müssen auf der anderen Seite möglichst viele der Mini-Auktionen genau diese gesuchte Zielgruppe anbieten. Das Thema Targeting ist also eng mit RTB verbunden, bzw. die Grundvoraussetzung für diese Art des Handels. Aus der Sicht der RTB Systeme ist die entscheidende Größe das „QPS Volume“, also die Anzahl der versteigerten Werbeplätze pro Sekunde und die Höhe der Anfragen von der Käufer/Bieter Seite. Google hat mit den Zukäufen von AdMeld und Invite in Kombination mit dem bereits vorhandenen Exchange Volumen schon einen Vorsprung vor dem Wettbewerb, Microsoft holt langsam auf. Aber auch andere Player wie Agenturen sind nicht untätig. Diese Entwicklung ist nicht zuletzt davon abhängig, wie stark weiterhin fixe Kontingente zu einem festen Preis vorab eingekauft werden. Neben der für uns interessanten Entwicklung findet also auch hier wieder ein Wettkampf über Firmenkäufe, Börsenwert und Marktbeherrschung sowie Offenheit für neue Prozesse statt.

Warum ist RTB denn nun so eine Chance?

Erst einmal „Chance“ deshalb, weil vieles noch unklar ist. Die Liste der genannten Problemfelder ließe sich noch verlängern. Trotzdem liegen die Vorteile deutlich auf der Hand – und das für alle Parteien.

Die Anbieterseite hat mit RTB die Möglichkeit, das Inventar jenseits der Premiumplatzierungen zu vermarkten, ohne das gesamte Volumen an AdNetworks oder Agentur Tradingdesks zu verschleudern. Wie wichtig das ist, wird deutlich, wenn ein Seitenbetreiber z.B. nur etwa 20% seiner Werbeplätze als Premiumplatzierung veräußern kann. RTB bietet hier die Chance, das Inventar zu veredeln und höhere TKPs zu erzielen. Hinzu kommt, dass durch RTB etwas mehr Transparenz in den Markt kommt. Wer heute beispielsweise bei einem AdNetwork bucht, weiß eventuell gar nicht, dass die Buchung über mehrere Handelsstufen läuft und einer beim anderen Volumen hinzukauft, um das gebuchte Volumen überhaupt anbieten zu können. Kurzum: RTB ermöglicht es der Anbieterseite, möglichst viel Inventar zu einem maximalen Preis zu veräußern.

Die Agenturseite und damit auch die Werbetreibenden haben darüber hinaus auch ein Interesse, RTB zu nutzen. Denn in dem Prozess der Gebotsabgabe spielen alle auf Augenhöhe. Vorteile durch Agenturpooling und Volumendeals haben plötzlich keine Relevanz mehr. Aufgrund der höheren Transparenz sind weniger Parteien am Handel beteiligt, was ihn im Idealfall günstiger macht. Durch das Cherry Picking – den massiven Einsatz von Profildaten – verringern sich zudem Streuverluste und können Kampagnen besser ausgesteuert werden, was trotz eventuell höherem TKP zu einem günstigeren Zielgruppen-TKP führt. Die Kontaktklassenoptimierung, CpL oder CpO Optimierung kann stärker automatisiert werden und das Wissen um die wichtigen Faktoren für die optimale Aussteuerung einer Kampagne wächst. Das klingt doch alles ganz toll. Warum also nicht 80% der Display-Budgets in RTB investieren? Die Antwort folgt später.

Aber was ist eigentlich mit dem Werbetreibenden? Es ist natürlich in seinem Interesse, dass seine Kampagnen möglichst effizient ausgesteuert und vor allem eingekauft werden. Die Minimierung von Streuverlusten, das Ausschalten von zig Zwischenhändlern, das Mehr an Wissen um wichtige Aussteuerungsfaktoren und Gesetzmäßigkeiten sowie daraus resultierende optimale CpX dürften jedem Mediaverantwortlichen auf Industrieseite die Freudentränen in die Augen treiben. Aber wo Licht ist, ist bekanntlich immer auch Schatten. Jeder Kampagnen-, Produkt- und Markenverantwortliche sollte sich gründlich überlegen, wem die Daten, die im Verlauf seiner Kampagne gesammelt werden, eigentlich gehören. Schwarze Schafe, die der Konkurrenzmarke die Profile der Bestperformer der letzten Kampagne verkaufen, argumentieren mit einem Effizienzvorteil und einem Win-Win Szenario. Umso wichtiger ist es, den geeigneten Agentur- oder Vermarkungspartner auszuwählen. Transparenz hört nicht bei einem Einkaufsmodell auf, es fängt hier erst an. Auch wenn es dabei im Kern um ein Targeting-Problem geht, ist es doch eng mit RTB und den teilnehmenden Parteien verbunden.

Kommen wir also zur Relevanz

In Deutschland ist RTB noch relativ jung und steht vor allem noch auf unsicheren „Datenschutz“-Beinen. Die Zukunft der Cookies ist noch ungewiss und ohne diese hat die Automatisierung des Echtzeithandels – so wie eigentlich die gesamte Online Werbung –
keine Chance. Ohne geeignete Systeme, die eine Profilierung der User vornehmen, berechnen und buchbar machen, kann RTB keine Kraft entfalten. Denn es muss in einer Kampagne ein riesiges Volumen an sinnfälligen Profilen gesammelt werden, um diese Personen z.B. im Retargeting bei einer RTB Auktion wiederzufinden. Je mehr Faktoren (Alter, Interessen, Regionalität etc.) dabei miteinander kombiniert werden, desto unwahrscheinlicher ist es, den passenden Nutzer mit diesem Profil zu finden. Bereits ab drei Faktoren wird das Potenzial extrem gering.

Wichtig sind auch die Themen Manpower und Technik. Solange es keinen festen Standard gibt und jedes System sehr unterschiedlichen Gesetzen folgt, brauchen wir Profis mit viel Erfahrung. Der Größe des Hypes stehen aber nur wenige erfahrene Profis gegenüber. Diejenigen die nachwachsen, brauchen noch einige Zeit, um die notwendigen Erfahrungen zu sammeln. Auch bei der geeigneten Technik warten Holpersteine: Jeder Technologieanbieter möchte auf den Zug aufspringen und entwickelt wild Anbindungen an möglichst viele DSPs, die aber selbst häufig nicht durch einfache Bedienbarkeit glänzen.

Zu guter Letzt trägt noch das geringe Handelsvolumen, das überhaupt im RTB angeboten wird, dazu bei, dass der Markt in Deutschland mit angezogener Handbremse anläuft. Nach Schätzungen der FOMA nimmt das Volumen von RTB in Deutschland ca. 3-5% der Displaybudgets ein. In den USA geht man von rund 20% aus. Wie viele der gebuchten Plätze heute tatsächlich schon über RTB ausgeliefert werden, weiß sicher niemand verlässlich. AdJug meldete beispielsweise, dass etwa 30% des Inventars über RTB angeboten werde. Microsoft strebt nach aktuellen Pressemeldungen ca. 20% in Deutschland an. Die wenigsten Systeme dürften heute schon wirklich funktionieren:
Aktuell wird auf Agenturseite entweder experimentiert oder man greift auf Spezialisten wie Mexad zurück, die RTB Kampagnen über alle zur Verfügung stehenden DSPs und AdExchanges einkaufen und damit als „Man in the middle“ das notwendige Technik- und System-Know-How zur Verfügung stellen. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass RTB durch die Möglichkeit des Cherry-Pickings eine große Chance darstellt – vor allem natürlich für Performancekampagnen.

“Say goodbye to the world you thought you lived in“ – Zitat Mika

Bedeutet RTB für den (Online-)Mediaplaner nun ein gänzliches Umdenken, so wie es in der Einleitung skizziert wurde? Sicher nein, wenn es sich nicht gerade um einen reinen Performance-Planer handelt. Die meisten Kunden wollen Sales. Vertriebs- und Markenbudgets werden getrennt, fließen dann doch wieder zusammen und sollen alle den gleichen Zielen dienen – Sales. Über diesen Umstand vergisst man leicht, welche Relevanz die Marke hat. Gute Kommunikation braucht mehr als billigen Einkauf, maximalen Technisierungsgrad und Treffsicherheit. Sie braucht passenden Content, Inszenierung, Vernetzung, Hirn des Planers. Nur so kann sich die Marke im Dschungel der Werbebotschaften durchsetzen und Aufmerksamkeit erregen. RTB ist hier eine ideale Ergänzung zu bestehenden Planungsmodellen. Das haben in der Vergangenheit all diejenigen erfahren müssen, die sich dem Götzen „billig, billiger, fast nix“ und „heute zählt, morgen ist mir egal“ hingegeben haben. Wird in Marke, Qualität und Affinität nicht investiert, leidet die Marke und damit langfristig auch der Abverkauf. Dann ist die Verwunderung und Empörung groß. RTB ist zwar eine Möglichkeit, günstig Zielgruppen zu erreichen – wenn aber auf einer Wetterseite Banner für eine 1.000€ Kamera gezeigt werden, ist die Wirkung auf die Markenwerte eher zu bezweifeln. Das zeigen auch die aktuellen Erfahrungen. Jenseits des Abverkaufs versagen die automatisierten Buchungssysteme noch. User haben eine geringere Verweildauer und Aktivitätsrate auf der Markensite, setzen sich weniger mit der Botschaft auseinander und nehmen die Marke nicht in ihr Relevant Set auf. Nun muss sich jeder selbst überlegen, ob er lieber 100.000 Menschen auf der Website haben möchte, die sich nicht wirklich für die Marke interessieren, oder 1.000, die später das Produkt wirklich kaufen. Letztendlich ist es die Aufgabe der Agenturen, hier die richtige Kombination zu ermitteln und vor allem zu belegen. Und dabei bleibt es jeder Agenturphilosophie selbst überlassen, diesen Weg für seine Kunden richtig zu begehen.