„Letzte Bastion freiheitlicher Planung“

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CROSSMEDIA wird als erste Mediaagentur Mitglied im Gesamtverband Kommunikationsagenturen GWA. Welche Argumente für diese Entscheidung sprechen, erklären Geschäftsführer Markus Biermann und Armin Schroeder im Interview mit HORIZONT:

Crossmedia: Die Düsseldorfer kehren dem Mediaagentur-Verband OMG den Rücken und docken beim GWA an – die Begründung lässt aufhorchen

Irgendwie ist es ja schon eine der beeindruckenden Geschichten im deutschen Werbe-Business: Unbeirrt von der Übermacht der Media-Networks verfolgen Crossmedia-Gründer Markus Biermann und seine Leute seit 1997 einen dezidiert eigenständigen Kurs und behaupten sich trotz teils heftigem Gegenwind erfolgreich im Markt. Mittlerweile beschäftigt die Düsseldorfer Agentur über 500 Mitarbeiter und machte zuletzt mit dem Gewinn des Kunden Etihad Airways Schlagzeilen.

Herr Biermann, Herr Schroeder, Crossmedia verlässt den Mediaagentur-Verband OMG. Warum tun Sie das?

Markus Biermann: Das hat mehrere Gründe. Auslöser war letztlich das Interview von Klaus-Peter Schulz in HORIZONT, über das ich mich geärgert habe.

Sie meinen das Interview, in dem der OMG-Sprecher Julia Jäkel eine harsche Absage erteilt, die an die Unternehmen appelliert hatte, aus gesellschaftspolitischer Verantwortung Werbebudgets Richtung Qualitätsmedien zu shiften?

Biermann: Ja, wobei ich allein schon das Timing unglücklich fand – der Vorstoß von Julia Jäkel war zu diesem Zeitpunkt 14 Monate alt. Was ich aber etwas schwierig fand, war die Art und Weise, wie Klaus-Peter Schulz über die freie Presse gesprochen hat. Allen Marktteilnehmern wird ja klar sein, dass unser Wohlstand von einem funktionierenden Staats- und Gemeinwesen abhängt. Und dazu gehören nun einmal unverzichtbar die Qualitätsmedien.
In einer Zeit von Trollen, Fake News und Hass-Propaganda eine solche Diskussion über die Bedeutung der freien Presse vom Zaun zu brechen, ist einfach unnötig.

Von einer großzügigen Verschiebung der Werbegelder Richtung Verlage halten Sie aber auch nichts, oder?

Biermann: Nein, auch ich finde, dass es nicht unsere Aufgabe sein kann, Qualitätsmedien mithilfe von Mediaplänen zu schützen. Was mich aber ärgert: Wenn man sich schon hinter KPIs verschanzt, müssen Zeitungen und Zeitschriften auch Teil dieser Betrachtungen sein.

Was meinen Sie damit?

Biermann: Wir wissen von Mediaagenturen, bei denen bestimmte Verlage im Ranking der buchbaren Medien gar nicht mehr vorkommen.

Das ist ein harter Vorwurf.

Biermann: Ist aber Realität. Bei uns bewerben sich Leute aus Agenturen, die sagen: Ich würde gerne mal wieder planen, was es zu planen gibt. Wissen Sie, bei der Vorbereitung zu unserem Gespräch ist mir wieder aufgefallen, dass wir mehr gegen Mediaagenturen poltern, als uns lieb ist. Wir möchten nicht als Miesepeter der Mediabranche und erst recht nicht als moralische Besserwisser rüberkommen. Aber wir sind nun einmal wirklich davon überzeugt, aufgrund unserer Unabhängigkeit die einzige Mediaagentur zu sein, die die Kunden wirklich neutral berät. Crossmedia ist die letzte Bastion freiheitlicher Planung.

Sie verlassen die OMG und treten dafür als erste Mediaagentur dem GWA bei. Das ist ein starkes Statement.

Biermann: Wir glauben, im GWA in einen echten Austausch über Disziplingrenzen hinwegzukommen. In der OMG geht es letztlich doch immer nur darum, ein unserer Meinung nach ausgedientes Geschäftsmodell irgendwie mit einem neuen Geschäftsmodell zu verknüpfen. Worum es aber wirklich gehen sollte, ist, ein neues Verständnis von Kommunikation zu entwickeln. Heute noch so zu tun, als könne man als Agentur alle Felder abdecken,
ist einfach Quatsch. Wir brauchen ein echtes Zusammenspiel von Kreation, Media und weiteren Disziplinen. In der GWA gibt es viele kluge und inspirierende Köpfe, mit denen man genau darüber diskutieren kann.

So sehr sich Crossmedia von den Networks unterscheidet, in einem Punkt sind Sie ganz Teil des Mainstreams: Alle Mediaagenturen haben sich „Digital First“ auf die Fahnen geschrieben.

Armin Schroeder: Nein, eben nicht. Ich halte den Satz „Digital First“ für anachronistisch. Es ist immer das gleiche Muster: Organisationen neigen dazu, neue Themen zu überhöhen und übertriebene Erwartungen zu schüren. Natürlich sind auch für uns Automatisierung, Programmatic und generell technologische Entwicklungen Treiber der digitalen Transformation. Aber das darf doch nicht dazu führen, alles Alte über Bord zu werfen. Die ganzen Debatten Klassik versus Digital gehen völlig in die falsche Richtung. Programmatic ist dafür ein gutes Beispiel.

Schulz sagt, bei den Agenturen habe eine selbstkritische Diskussion über die Bedeutung des Umfelds auch bei Programmatic eingesetzt. Das ist doch ganz in Ihrem Sinne.

Schroeder: Seine Aussage ist natürlich richtig, Aber muss man ernsthaft und „selbstkritisch“ darüber diskutieren, dass Umfelder wichtig sind? Man muss wirklich kein Wissenschaftler sein, um zu verstehen, dass eine Anzeige auf Spiegel Online eine andere Werbewirkung hat als auf glitzertexte.com. Genau das ist ja mein Punkt: Die Konzentration auf einzelne digitale Themen versperrt den Blick darauf, worauf es bei Media wirklich ankommt. Unser eigentlicher Job ist nicht, Programmatic fantastisch zu machen, sondern Programmatic so zu nutzen, dass die Mediaplanung insgesamt besser wird. Und das gilt für alle neuen Entwicklungen in unserer Branche. Man darf nicht den Blick für das gesamte Spielfeld von Media als Gestaltungs-Disziplin verlieren! Und dieses Spielfeld ist riesig.
Biermann: Ich gehe noch einen Schritt weiter: Es genügt heute nicht mehr, nur Media in den Blick zu nehmen. Wir sind schon 1997 bei der Gründung von Crossmedia mit dem Anspruch angetreten, Kreation und Media  miteinander zu vernetzen.

Dieses klappt aber nur, wenn die Kreativagenturen mitziehen. Gibt es eine Entwicklung in diese Richtung?

Biermann: Es gibt nach wie vor beides: Kreativagenturen, die nach den alten Regeln spielen wollen, und solche, die verstanden haben, dass Kommunikation ein Mannschaftssport ist. Da trennt sich die Spreu vom Weizen. Was Crossmedia betrifft, lautet unsere Aussage: Wenn der Kunde klare Ansagen macht und für das richtige Set-up sorgt, können wir bessere Ergebnisse versprechen – egal mit welcher Kreativagentur wir zusammenarbeiten.

Schroeder: Man muss heute eine Mediaagentur so aufstellen, dass sie anschlussfähig ist für die enge Zusammenarbeit mit anderen Agenturen. Und da sind wir sicherlich deutlich weiter als andere Mediaagenturen, weil diese Offenheit einfach Teil unserer DNA ist.

Sehen Sie generell eine zu starke Fixierung auf digitale Themen?

Biermann: Wir sind große Freunde der Digitalisierung, sehen aber auch Fehlentwicklungen. Ein Problem ist, dass Aufsichtsräte, Investoren und der Vorstand vom Marketing fordern: Wir brauchen digitale Erfolgsgeschichten!  Wenn Sie dann als Marketingverantwortlicher mit Print kommen, werden Sie doch inzwischen belächelt. Ich glaube, wir haben da mittlerweile ein systemisches Problem. Lautet der Job heute wirklich, Kennziffern wie Cost-per-Click zu polieren und das Ranking meiner Marke auf Amazon zu verbessern? Ist es wirklich dieses Kleinteilige und Ziselierte? Ein solches Marketing funktioniert vielleicht für hier und heute, tut aber nichts für die Marke und
das Geschäft in drei oder fünf Jahren. Natürlich muss ich mich auf das Spiel mit Google, Facebook und Amazon einlassen – aber wenn ich parallel dazu nicht einen Plan B verfolge, wie ich meine Marke unabhängig davon aufstelle, gerate ich zwangsläufig in eine fatale Abhängigkeit.

Man kann ja auch die These vertreten: Die drei US-Plattformen sind im Digitalen inzwischen dermaßen dominant, dass es vernünftig ist, sich ganz auf sie zu konzentrieren, um sich nicht zu verzetteln.

Schroeder: Das ist genau diese Schwarz-Weiß-Sichtweise, die wir ablehnen, weil sie einfach falsch ist und nicht funktioniert. Kann man heute eine Marke nur über das Social Web aufbauen? Ja, in Einzelfällen ist das zweifellos möglich. Aber das funktioniert eben nur für Marken mit ganz bestimmten Zielgruppen. Wir brauchen schon einen ganzheitlichen Blick und ein tiefes Verständnis für eine sich verändernde Kommunikationswelt.

Biermann: Eine Marke macht es sich zu einfach, wenn sie nur auf Google, Facebook und Amazon schaut. Es geht nicht nur um kurzfristige Optimierungen auf den Plattformen, sondern um lang- oder zumindest mittelfristige Strategien für Marken.

Die Personen
Gründer, Kopf und Mehrheitseigner von Crossmedia ist Markus Biermann. In den Jahren hat er eine sechsköpfige Geschäftsführung um sich aufgebaut, die inzwischen große Teile des operativen Geschäfts

verantwortet. Einer von ihnen ist Armin Schroeder. Schroeder ist seit 2006 an Bord und schaffte 2017 den Aufstieg in den erlesenen Kreis der geschäftsführenden Gesellschafter. Seine Schwerpunkte sind Kreation, Technologie und Markenkommunikation.
Zuletzt gelangen Crossmedia ein paar schöne Erfolge im Neugeschäft, gewonnen wurden unter anderem Ovomaltine, Xing und Etihad. „2018 war ein tolles Jahr, auch wenn unterm Strich wieder nicht besonders viel an Gewinn übrig geblieben ist“, sagt Biermann. Sorgen müsse man sich um die Agentur aber nicht machen: „Crossmedia steht sehr stabil da, und darauf sind wir wirklich stolz.“
Crossmedia ist in Deutschland mit Standorten in Düsseldorf, Hamburg, Berlin und neuerdings auch Bielefeld vertreten. Mit rund 200 Mitarbeitern ist die Agentur inzwischen auch in den USA stark vertreten. Neues Vorzeigeprojekt ist das Büro
in London.

Foto: Kurt Steinhausen

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