„Gespräche mit uns sind kein Spaziergang“

Markus Biermann im DWDL.de-Interview:

In der DWDL.de-Debatte zur Zukunft der TV-Vermarktung meldet sich Markus Biermann zu Wort. Der Chef der unabhängigen Media-Agentur Crossmedia betreut Kunden wie Lidl, Hornbach oder McFit – und wirft großen Agenturen vor, Innovationen zu behindern.

Wer hat mehr Grund sich über das Fernsehen aufzuregen – der Mediastratege oder der Privatzuschauer Markus Biermann?

Der Privatzuschauer in mir kann dem Fernsehen problemlos ausweichen und seine Freizeit auch anderweitig prima gestalten. Wenn meine Kinder mich abends fragen, ob sie einen Film bei iTunes gucken dürfen, investiere ich gern ein paar Euro. Immerhin habe ich sie dann ohne Werbeunterbrechung eine halbe Stunde früher im Bett. Als Chef einer Media-Agentur komme ich dagegen bis auf Weiteres nicht am TV vorbei – und leider auch nicht an den vielen Ritualen und unschönen Usancen, die damit verbunden sind.

So schlimm?

Leider ja. TV an sich ist immer noch ein außerordentlich starkes, wichtiges Medium. Und je nachdem, wie pragmatisch oder engstirnig man TV definiert, wird es das auch in Zukunft bleiben. Das Problem ist eben nur, dass ganz viele, die über TV reden und mit TV handeln, ihre eigene Agenda verfolgen und in Wahrheit etwas anderes bezwecken, als sie vordergründig sagen. Dadurch dominiert mal eine übertriebene Zahlenfixierung, mal eine Spirale des negativen Zerredens, wo es uns allen doch eigentlich um wirksame Markeninszenierungen gehen sollte.

Dann lassen Sie uns doch mal ein paar Standpunkte prüfen – und welche Agenda jeweils dahinter steckt. Ihr Kollege Walter Litterscheidt, CEO der Media-Agentur Carat, hat kürzlich im DWDL.de-Interview beklagt, dass die Wirkung des Werbeträgers TV nachlasse und die Inflation der Werbepreise zunehme. Teilen Sie diese Einschätzung?

Das Klagen über Inflation ist wahrlich keine neue Entwicklung. Diese Diskussion zwischen Agenturen und Vermarktern kenne ich seit 20 Jahren. Und im Herbst, wenn es an die Verhandlungen fürs nächste Jahr geht, brandet sie gern mal etwas heftiger auf. Das meinte ich vorhin, als ich von Ritualen sprach.

Das beantwortet aber nicht, ob die Klage dennoch berechtigt ist und ob Sie sich ihr anschließen würden.

Natürlich gibt es Inflation und natürlich müssen wir das als Treuhänder unserer Kunden mit aller Kraft bekämpfen. Das Resultat sind immer wieder sehr harte Verhandlungen mit den TV-Vermarktern, in denen wir nicht klein beigeben. Da, wo Leistungswerte sinken, drängen wir vehement auf entsprechend angepasste Preise. Obwohl wir eine im Verhältnis zu den großen Networks kleinere, unabhängige Agentur sind und kein großes internationales Network im Rücken haben, empfinden die Vermarkter Gespräche mit uns vermutlich nicht als Spaziergang. Da müssten Sie mal die Vermarkter fragen… (lacht) Wenn allerdings CEOs großer Network-Agenturen über Inflation klagen, ist die Sache nicht ganz so eindeutig. Die profitieren nämlich de facto von Inflation, weil damit ihr Einkaufsvolumen steigt. Das ist natürlich nicht im Interesse des einzelnen Kunden, aber im Interesse der Agentur, die unterm Strich immer mächtiger wird und immer mehr Vergünstigungen für sich einfordern kann. Das liegt in der Natur der Sache.

Ihre Agentur Crossmedia versteht sich als Treuhänder und verkauft den Kunden ausschließlich Mediaberatung, während die Networks in der Regel sowohl Berater als auch Händler sind. Trotzdem nehmen die Großen für sich in Anspruch, ebenso im Interesse ihrer Kunden zu handeln.

Das will ich auch gar nicht anzweifeln. Jeder Kunde hat ja die Möglichkeit, Geschäftsmodelle, Konditionen und Transparenz verschiedener Agenturen zu vergleichen und sich dann für diejenige zu entscheiden, die seinen Zielen entspricht. Ich glaube nur, dass man die Bedeutung mancher Äußerungen eben danach bewerten muss, aus welcher Ecke sie kommen.

Dann nehmen wir doch eine andere Äußerung. Matthias Dang, Chef des RTL-Vermarkters IP Deutschland, hat im DWDL.de-Interview als Antwort auf Litterscheidt gesagt, der Wert hoher Nettoreichweiten im TV – und damit auch ihr Preis – werde in den nächsten Jahren erheblich steigen. Was halten Sie davon?

Grundsätzlich hat Herr Dang damit Recht, auch wenn sein Vergleich mit dem amerikanischen Super Bowl sicher etwas übertrieben war. Die zunehmende Fragmentierung hat zur Folge, dass echte Massenkommunikation immer schwieriger wird. Die Antwort darauf kann ja nicht sein, dass wir nur noch Social-Media-Postings und Search-Anzeigen bei Google schalten. Je nach Marke und Kommunikationsziel sind das wichtige Kampagnenbausteine. Aber TV – oder sagen wir lieber Bewegtbild – ist in puncto Emotionalisierung und Aktivierung unübertroffen. Darauf werden auch künftig viele Kampagnen nicht verzichten können. Das heißt,  wir werden einerseits die raren Programmformate mit hohen Reichweiten, andererseits auf wachsende Reichweiten mancher nonlinearer Plattform wie YouTube oder Smart TV zurückgreifen. Und wie gehabt, wird die Preisbildung dabei durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage bestimmt werden.

Nicht nur Carat-Chef Litterscheidt, sondern auch andere Agenturbosse haben in letzter Zeit vermehrt die sinkende Qualität und Attraktivität des TV-Programms insgesamt beklagt. Stimmen Sie in diese Klage mit ein?

Wenn wir gerade über die enorme Fragmentierung und immer neue Spartenangebote für immer neue Zielgruppen gesprochen haben, dann ist klar, dass es für die großen TV-Sender auch zunehmend schwieriger wird, attraktives Programm für alle zu machen. Vieles, was früher als Lagerfeuer für die ganze Familie funktioniert hat, würde unserem heutigen Anspruchsdenken gar nicht mehr genügen. Außerdem lohnt es sich auch hier, mal genauer hinzuschauen, wer Programmqualität nur einfordert und wer sie tatsächlich fördert.

IP-Chef Dang sagt, er habe es äußerst selten erlebt, dass Kunden aus Qualitätsgründen mehr gezahlt hätten.

Das glaube ich sofort. Und das kann man auch nicht unbedingt erwarten, weil es ja schon zu den Kernaufgaben eines Senders gehört, für eine gewisse Programmqualität zu sorgen. Aber natürlich haben wir als Mediawirtschaft indirekte Steuerungsmöglichkeiten, wenn wir etwa der Auffassung sind, dass Innovation und Mut zu neuen Formaten dem Medium gut täten. Wir empfehlen unseren Kunden durchaus bewusst, auch die ersten Folgen neuer Serien oder Shows zu belegen, sofern das von der Zielgruppe und der erwartbaren Reichweite her in den Mediaplan passt. Wenn manche große Network-Agentur dagegen eine Policy hat, grundsätzlich bei keinem Neustart die ersten drei Folgen zu buchen, dann ist das rein wirtschaftlich eher ein Anreiz, beim Altbewährten zu bleiben.

Sie behaupten also, dass ein Mediaplan aus Ihrem Hause grundsätzlich anders aussieht als der einer Network-Agentur?

Im Zentrum steht immer der einzelne Kunde mit seinem individuellen Kommunikationsbedürfnis. Insofern lassen sich ohnehin keine zwei Kampagnen über einen Kamm scheren. Aber wenn ich als neutraler, unabhängiger Berater ausschließlich auf die Interessen meines Kunden schaue, komme ich sicher in der Regel zu anderen Ergebnissen, als wenn ich gleichzeitig noch vom Handel mit Werbeflächen und von Kickbacks der Vermarkter leben würde.

Vielleicht können Sie zumindest ein bisschen verallgemeinern: Wo gewichten Sie im TV anders als andere?

Im Durchschnitt aller von uns geplanten TV-Kampagnen wird man sicher einen höheren Anteil von Primetime und einen höheren Anteil der Öffentlich-Rechtlichen finden als im Durchschnitt der gesamten Branche. Das liegt daran, dass wir nicht einfach nur möglichst billig Bruttoreichweite einsammeln wollen, sondern unseren Kunden in aller Regel die Umfelder empfehlen, in denen sie ihre jeweilige Zielgruppe am besten erreichen können. Und das sind oftmals Selektivseher, die man schlicht nicht überall kriegen kann.

Wird es für Sie als Independent schwerer oder leichter, wenn die hohe Konzentration der Media-Konzerne mit der geplanten Fusion von Omnicom und Publicis voranschreitet und künftig drei Viertel der deutschen TV-Werbeausgaben bei zwei Mega-Agenturen liegen?

Das gibt uns die Chance, uns als unabhängiger Berater noch stärker abzuheben. Ich finde es allerdings schwer verständlich, wieso der Gesetzgeber zwar TV-Veranstalter auf maximal 30 Prozent Marktanteil beschränkt, aber für die Seite, die das System maßgeblich finanziert, keine solche Begrenzung vorsieht. Wären wir nicht im B2B-Bereich, sondern würden mit Endkunden-Produkten handeln, dann wäre bei derartiger Konzentration bestimmt schon längst der Teufel los.

Herr Biermann, herzlichen Dank für das Gespräch.

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