„Einzelne Agenturen haben nicht die Marktmacht“

Das Thema "Brand Safety" brodelt zur Zeit und Unternehmen wie Google, YouTube und Facebook stehen in der Kritik. Armin J. Schroeder, Geschäftsführer bei CROSSMEDIA, erörtert die Rolle von Agenturen im Interview:

Google und Youtube stehen seit Wochen in der Kritik, weil Werbung in Schmuddel-Umfeldern ausgespielt wurde. An die Sinnhaftigkeit eines Google-Boykotts glaubt Armin Schroeder nicht, zumindest nicht, wenn es um bessere Mediapläne geht. Im Interview erklärt der Geschäftsführer Digital bei dem Düsseldorfer Independent Crossmedia, welche Rolle den Agenturen zufällt, wenn es um das Thema Brand Safety geht.

Zahlreiche Markenartikler haben in Großbritannien bereits ihre Youtube-Etats eingefroren. Warum kocht das Thema Brand Safety gerade jetzt wieder massiv hoch? Ja, das fragen wir uns auch. Natürlich ist das Teil unseres Tagesgeschäfts und damit ist es wahrlich keine News, dass es Handlungsbedarf beim Thema Brand Safety gibt. Und es ist ja auch nicht so, dass Google und Co früher transparenter gewesen wären und man jetzt plötzlich entdeckt hat, was schief laufen kann. Alle Player – egal ob Kunden oder Agenturen –  haben die Angebote von Google und Facebook über all die Jahre groß gemacht. Das scheint schon sehr aktionistisch, wenn Agenturen und Kunden jetzt plötzlich einzelne Etats bei Google reduzieren. Das wirkt fast so, als hätten wir uns bis zu dem Zeitpunkt keine Gedanken über die bestehenden Probleme gemacht oder das in der Beratung nicht thematisiert.

Google war allerdings in den letzten Jahren auch eher Frenemy als Enemy…. Google und Facebook haben sich in den letzten Jahren gerne als neutrale Berater in der digitalen Transformation präsentiert. Bislang haben alle das Spiel mitgespielt und gebucht. Inzwischen setzen sich mehr und mehr Werbungtreibende durch den massiven Anteil von Facebook und Google in den Mediaplänen kritischer mit den Themen auseinander.

Heißt das, Sie werden auch bei den Google-Etats streichen? Nein. Wir als Gesamtagentur werden unser Buchungsverhalten oder den Mix rund um Google und Facebook jetzt nicht pauschal verändern. In unserer Rolle als neutrale Berater ist jede Entscheidung auf die individuelle Kampagne und den Kunden bezogen. Fraud oder schädliche Umfelder führen nicht erst jetzt zu Veränderungen in den Mediaplänen, sondern schon seit einiger Zeit. Aber es ist in keinster Weise sinnvoll, die gesamte Kommunikation über Google und Facebook einzustellen. Natürlich aber müssen die großen amerikanischen Player umdenken, sie müssen transparenter werden und einheitliche Messsysteme zulassen. Man muss aber festhalten: Das Thema Transparenz ist kein Google-spezifisches. Der Einsatz von Daten, das Zusammenspiel von mehreren Systemen birgt immer ein Restrisiko, das auch kein Algorithmus beseitigen kann. Retargeting, bei dem in kürzester Zeit zehntausende Ads gebucht werden, ist dafür das beste Beispiel.

Gilt das auch für deutsche Vermarkter? Ich würde das anders formulieren. Data Driven Advertising führt immer mehr dazu, dass die umfeldzentrierten Pläne zu  personenzentrierten Plänen werden. Die schiere Masse an Daten, Abläufen und beteiligten Systemen führt zwangsläufig zu Unschärfe und Intransparenz. Sie können Brand Safety Systeme einsetzen, Sie können Tracking mitlaufen lassen, Sie können Cherry Picking betreiben, Sie können es aber trotzdem nie ausschließen, dass die Gefahr von Fraud oder nicht zufriedenstellender Brand Safety besteht, vor allen Dingen dann, wenn es um hohe Reichweite geht. Je höher der Grad der  Automatisierung ist, desto größer wird das Risiko, dass nicht alles korrekt ausgeliefert wird, und das gilt letztendlich für alle Vermarkter gleichermaßen.

Das heißt, Sie als Agentur sind da völlig hilflos und das nicht nur bei Google? Nein. Wir bauen selbstverständlich ein Set von Überprüfungsmechanismen ein und die funktionieren auch weitgehend zuverlässig. In dem Moment, in dem ich aber auf ein geschlossenes Ökosystem wie eine Google- oder Facebook-Welt stoße, dass keine einheitliche Third Party Messung zulässt, wird es schwieriger, genau solche Agentursysteme übergreifend einzusetzen. Und genau hier ist der Druck aus dem Markt notwendig, um einer einheitlichen Messung über alle Vermarkter ein Stück näher zu kommen. Das wird noch dauern. Das ist ein Kraftakt.

Welche Möglichkeiten haben Sie als Agentur, Druck auf Google & Co auszuüben? Ich würde da weniger von Druck sprechen. Einzelne Agenturen haben nicht die Marktmacht, um Google in die Knie zu zwingen. Am Beispiel Google zeigt sich, dass globale Marketer mit einem entsprechenden Budget und vor allen Dingen auch der Möglichkeit, die Konsequenzen zu verantworten, ein wesentlich anderes Gewicht haben und Bewegung in solches Thema bringen können. Ich will damit nicht sagen, dass sich Agenturen aus der Verantwortung ziehen dürfen oder sollten. Aber unsere Rolle ist dabei eine andere. Wir müssen in der Transferphase in eine programmatische Welt noch stärker aufklären und beraten.

Der schwarze Peter liegt also bei den Kunden. Wenn der bereit ist, mehr Geld für Sicherheitssysteme und Premiumplatzierungen in die Hand zu nehmen, kann er das Restrisiko minimieren? Natürlich ist es am Ende die Entscheidung der Kunden, wie viel Unsicherheit sie zulassen können und wollen. Aber genau da kommen wir zu der wachsenden Bedeutung des Beratungsauftrages für die Agenturen. Für diese Entscheidung braucht man einen neutralen Berater, der genau diese verschiedenen Faktoren abwägt und daraufhin eine belastbare Empfehlung abgibt. Wir können aufschlüsseln, wo Gefahrenpotenziale liegen, welche Parteien in der Prozesskette beteiligt sind und wir können die Abläufe transparent darstellen. Hier sind die Agenturen in der Pflicht und genau in der richtigen Position: die Transparenz an der Türe des Walled Garden zu schaffen. Genau diese Stellen muss ein Kunde kennen, um eine Entscheidung treffen zu können.

Das heißt, ein Youtube-Boykott, wie ihn einige internationale Kunden kürzlich verkündet haben, wäre für Sie keine Option? Bei uns gibt es keine globale Vorverurteilung von Marktteilnehmern. Es ist jeweils eine individuelle Entscheidung, mit dem Kunden zu überlegen, was der richtige Weg für ihn ist. Mit welcher technischen Validierung und Budgeteinsatz eine Kampagne ausgestattet sein muss. Am Ende zählt die Wirkung, nicht die Art der Buchung – ob automatisiert, bei Google oder Facebook oder mit fragmentierter klassischer Planung. Erreichen wir mit der Buchung bei Google oder Facebook die Ziele, gehört es genauso zur guten Beratung, diese Plattformen zu empfehlen wie das Gegenteil bei einer schlechten Performance. Ein Boykott würde davon losgelöste Zielen verfolgen, die dementsprechend auch auf einer anderen Basis als der Empfehlung einer Agentur basieren muss.

Gäbe es überhaupt Alternativen, den Mediaplan ebenso gut zu erfüllen, wo Google und Facebook normalerweise erste Wahl wären? Natürlich ist die Frage nach einem Substitut bei der aktuellen Marktsituation allgegenwärtig. Selbst wenn man den fragmentierten Markt zusammennimmt, gibt es kein echtes Substitut. Höchstens Komplementäre, die verschiedene Nischen besetzen oder mit zusätzlichen Mehrwerten punkten. Seien es hochwertige Inhalte, kanalübergreifende Ansätze oder regionale Schwerpunkte. Ströer schafft beispielsweise gerade mit massiven Zukäufen ein solches komplementäres Angebot. Deren CEO Christian Schmalzl hat das sehr richtig formuliert:  Vermarkter müssen die passende Kombination von Daten und Inventar geschaffen, auf der anderen Seite aber auch eine entsprechende Reichweite bündeln, um nicht in einem fragmentierten Markt unter zu gehen. Eine ähnliche Kombination aus Reichweite, Daten und Nutzungsintensität wie Google oder Facebook zu finden, dürfte sich vor allem im Bewegtbildsegment trotzdem noch für längere Zeit schwierig gestalten. Mittelfristig müssen wir in unserem eigenen Land Voraussetzungen zu schaffen, um Raum für einen Gegenpol zu den amerikanischen Unternehmen zu schaffen. Das wäre ein wichtiger Schritt, um hierzulande ein echtes Substitut zu haben – auch wenn es dann notgedrungen mit einer weiteren Konsolidierung bzw. Konzentration verbunden wäre.

Sie plädieren für ein Oligopol aus Supervermarktern? Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Denken Sie doch allein an die E-Privacy-Verordnung! Google holt sich ein einziges Mal ein Opt-In und die Erlaubnis die Daten zu nutzen, ein fragmentierter Markt mit zig Vermarktern und tausenden von Umfeldern muss das Opt-In jedes Mal einzeln einholen. Allein so eine Entwicklung bewirkt, dass die nationalen Player es viel schwerer haben als die Amerikaner, die auf einen Schlag massive Relevanz und Reichweite mitbringen. Das zeigt, wie schwer Google und Facebook im Mediaplan zu ersetzen sind. Und es zeigt,  warum es einiges an Kraft im Markt erfordert, um externe Systeme zur Überprüfung zuzulassen. Auch wenn beide Unternehmen sich langsam bewegen, ist die Frage noch offen, inwieweit erst einmal internationale Technologien integriert werden und wie lange es dauert, bis sich deutsche „Standards“ anschließen.

Kann denn ein Boykott zumindest diese Einsicht erzwingen, dass man nach den Regeln des gesamten Marktes spielen muss? Das kann ein Kunde als taktisches Mittel einsetzen, um ein anderes Ziel zu erreichen, aber es muss dann eben nicht unbedingt sinnvoll für seine Mediaziele sein. Noch einmal: Eine generelle Boykott-Maßnahme wird es bei uns nicht geben, weil wir es pauschal nicht empfehlen können. Wenn aber ein gesamter Markt sukzessive politischen Druck aufbaut, Maßnahmen für mehr Messbarkeit und Transparenz zu treffen, kann das nur positiv sein. Letztendlich führt nicht eine Einzelmaßnahme eines Kunden oder einer Agentur zum Ziel, sondern ein Aufruf wie der von Mark Pritchard an eine gesamte Branche, sich anzuschließen. Das ist dann nicht bloß der zahnlose Tiger. Aber wie sich in der langsamen Öffnung der beiden zeigt, müssen die Maßnahmen global sein, ein kleiner deutscher Werbekunde juckt Google oder Facebook nicht.

Und wenn Crossmedia allein das macht, auch nicht. Auch dann nicht.

Zum Thema „Brand Safety“ finden Sie in der HORIZONT – Ausgabe 14, April 2017 außerdem den Artikel „Dialog statt Boykott“ mit Armin J. Schroeder.

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