Eine runde Sache

Gustavo Gusto ist zweifelsfrei eine besondere Marke. Dafür wurde das Unternehmen erst jüngst mit dem Effie in der Kategorie 'David vs. Goliath' ausgezeichnet und konnte sich darüber hinaus den begehrten Grand Effie sichern. In der aktuellen Ausgabe der Markenartikel blicken Michael Götz, CMO von Gustavo Gusto, und Mete Atam, Kundenverantwortlicher bei CROSSMEDIA, auf die einzigartige Historie der Foodmarke zurück:

Die noch junge Marke Gustavo Gusto hat mit Tiefkühlpizza in Restaurantqualität nicht nur ein neues LEH-Segment geschaffen, sondern auch den gesamten TK-Pizzamarkt und dessen bisherige Platzhirsche in Bewegung gesetzt.

Studentenmägen, das sei an dieser Stelle behauptet, gehören zu den dauerhungrigsten der Welt. Aber ein griechisches Lokal, das ausgerechnet mit Bur­gern die Herzen respektive Mägen der Studierenden erobern will? Das war vor rund 20 Jahren in Passau zum Scheitern verurteilt. Und das, obwohl das Restau­rant direkt neben der Universität lag – ein Selbstläu­fer, sollte man meinen. Klappte aber nicht. Und dann stand der Laden ein Jahr lang leer. lrgendwann konnte Christoph Schramm, zu der Zeit BWL-Student in der Dreiflüssestadt, den Anblick des verwaisten Geschäfts nicht mehr ertragen – und mietete es.
Ahnung hatte er nicht die geringste vom Gastro­business. Aber ihm war aufgefallen, dass es in der Studentenstadt weit und breit kein Restaurant gab, das im Steinofen gebackene Pizza anbot. Außerdem hatte kurz zuvor die nahe gelegene Abendmensa dicht gemacht. Gründe genug, um 2003 mit viel Gründermut Padu zu eröffnen – die »Pizzeria an der Uni«.

»Christoph wollte damals einfach einmal in die Selbst­ständigkeit hineinschnuppern und hat zusammen mit einem Kompagnon, der heute allerdings nicht mehr an Bord ist, beschlossen: Lass uns ein Studenten­restaurant eröffnen«, erinnert sich Michael Götz, ein Freund von Schramm aus Münchner Grundschulta­gen und damals ebenfalls Student in Passau. Und seit Juli 2017 Chief Marketing Officer der Franco Fresco GmbH & Co. KG – doch dazu später mehr. Zunächst reiste Christoph Schramm nach – natür­lich! – Italien. Dort recherchierte er, wo es die be­liebtesten Pizzen gab und erbettelte regelrecht die Re­zepte, um sie anschließend zurück in Passau mit zwei Dutzend Freunden auszuprobieren, zu verkosten und schließlich im Padu anzubieten. »Wir haben damals, trotz Werbeverbots, die gesamte Uni mit Plakaten der Pizzeria zugeklebt – vom Vorlesungssaal bis hin zu den Toiletten. Die Plakate hingen zwar nur einen Tag, das hat aber ausgereicht, um das Restaurant aus dem Stand voll zu bekommen – das lief extrem gut«, so Götz. Schon bald konnte Schramm in Passau drei weitere Lokale sowie einen Lieferservice eröffnen, so hoch war die Nachfrage. Soweit eine schöne lokale Erfolgsgeschichte. Doch Christoph Schramm schwebte mehr vor. Viel mehr. »Christoph kam Anfang der 2010er-Jahre auf mich zu – er wollte das Rad gerne etwas größer drehen. Er hatte die Idee für ein innovatives Lieferkonzept, bei dem man vor der Haustür von Kunden die Pizza gebacken hätte. Er fragte mich, ob ich ihm die Marke dazu machen könnte«, erzählt Michael Götz. Dieser hatte inzwischen seine Zelte in Passau abge­brochen und arbeitete in Hamburg als Texter in der Werbebranche. »Ich hatte zwar Lust auf das Pro­jekt, bin aber kein Designer oder Planner«, so Götz. Doch war er zu der Zeit bei Leagas Delaney ange­stellt. Und diese Werbeagentur hatte schon damals ein Faible für Start-ups – sie lieferte Beratungs- und Kreativleistungen und wurde dafür im Gegenzug am Gewinn beteiligt. »Das war eine Art Spielwiese für die Kreativen in der Agentur und lief zum Beispiel bei der Marke Followfish sehr erfolgreich.« Und so startete auch die Pizzamarke Gustavo Gusto, wenn­gleich nicht – wie zunächst geplant – als Lieferservice, sondern als LEH-Marke.
»Ich durfte dann bei Leagas Delaney einen kleinen Teil meiner Zeit offiziell für diesen Kunden nutzen, habe aber auch viel nach Feierabend gemacht«, er­zählt Götz. »2017 war die Marke schließlich so erwachsen, dass sie eine vollumfängliche Marken­betreuung nötig hatte. Und da bin ich dann als Ge­sellschafter ganz zu Gustavo Gusto gewechselt.«

Vom Jäger zum Gejagten geworden
Die Marke der 2014 gegründeten Franco Fresco GmbH & Co. KG mit Sitz in Geretsried bei München – dort zog man in die Räume einer alten Feinkostfa­brik – entspringt einer im Grunde simplen Geschäfts­idee: Eine Tiefkühlpizza anzubieten, die genauso gut schmeckt wie beim Italiener um die Ecke.
Klingt einfach, ist aber ambitioniert. Und sorgte da­für, dass es Gustavo Gusto am Ende gelang, ein ganz neues Marktsegment zu definieren – Premium-Tief­kühlpizza in Restaurantqualität. Die ist zwar etwa doppelt so teuer wie eine herkömmliche TK-Pizza, da­für zu einem ordentlichen Teil in Handarbeit gefertigt. »Von Hand ausgebreitet und von Hand belegt – das gab es damals nicht«, erinnert sich Götz. Dass die Newcomer zwischen die beiden Giganten Dr. Oetker (Ristorante; Die Ofenfrische) und Nestle ( Wagner) einen Fuß in den Markt bekommen, war allerdings zunächst nicht absehbar. Doch nach dem enormen Erfolg von Gustavo Gusto – das inzwischen 400 Mitarbeiter beschäftigende Unternehmen konnte in den vergangenen vier Jahren seinen Umsatz (2020: 50 Mio. Euro) verfünffachen – hat sich die Aus­gangssituation von einst umgedreht: Die marktbeherrschenden Anbieter Dr. Oetker und Nestle, die für etwa 60 Prozent des TK-­Pizza-Marktes stehen, sind inzwischen ebenfalls ins Feld der Premium-Pizza ge­gangen. Damit ist Gustavo Gusto vom Jäger zum Gejagten geworden.
»Wir waren natürlich schon nervös, als Dr. Oetker 2018 mit La Mia Grande plötzlich auch eine große Variante auf den Markt brachte – unsere Pizza hat mit 30 Zentimetern ja einen deutlich größe­ren Durchmesser als die klassische Tiefkühl-Pizza«, erzählt Götz. »Natürlich haben die großen Anbieter eine ganz andere Produktions- und Vertriebspower und waren mit ihren neuen Pizzen dann auch früher in vielen Märkten des Landes vertreten als wir – ob­wohl ja wir das Premium-Segment begründet haben und die eigentlichen Pioniere waren. Wir haben aber gelernt, dass es nichts bringt, nach links und rechts zu schauen und in Panik zu verfallen, sondern haben uns ganz auf uns und die Produktqualität konzentriert.« Auch bei Vermarktung und Markenaufbau geht man lieber eigene Wege. »Wir versuchen dort aktiv zu sein, wo es die anderen nicht so sehr sind. Zwar hatten auch wir einige Werbeausflüge ins TV, aber unser Schwerpunkt liegt woanders, etwa bei spannenden Kooperationen. Mit dem lnfluencer und YouTuber Luca alias Concrafter haben wir bei­spielsweise verschiedene limitierte Editionen auf den Markt gebracht. Außerdem haben wir eine Partnerschaft mit der Sat.1-Kochshow The Taste und haben eine Vier-Käse-Pizza herausge­bracht, die an das 50. Jubiläum des Bud-Spencer-Klassikers Vier Fäuste für ein Halleluja ange­lehnt ist.«
Da das Start-up zu Beginn wenig Geld hatte für Werbung, machte man kurzerhand die Verpackung selbst zum Werbeträger – mit launigen Headlines wie »Wir nehmen nur Mozzarella, alles andere ist Käse«. Auch mit dem auf viel Weiß setzenden Packaging will man aus dem sonst eher bunten Packungseinerlei hervorstechen. Außerdem ist die Verpackung größer als die der Konkurrenz – was den Handel zwar manchmal vor Herausfor­derungen stellt, gleichzeitig aber für ein Hervorstechen im Supermarkt sorgt.
»Wir versuchen immer, das Produkt selbst zur Story und zum Kommunika­tionsanlass zu machen«, erläutert Götz die Strategie. »Außerdem haben wir einen eigenen Außendienst engagiert, was für eine junge Marke nicht unbedingt üblich ist – so haben wir uns in Deutschland nach und nach ausbreiten können.«
Türöffner war dabei Rewe Süd – »uns hat unglaublich geholfen, dass wir dort in mehreren Testmärkten un­sere Produkte anbieten konnten«. Heute ist die Marke bundesweit gelistet (außer im Hard-Discount), etwa bei Rewe, Edeka, Netto, Penny und Globus. Dazu kommt der Vertrieb in Österreich sowie der Schweiz.

Erfolg und Demut in der Corona-Krise
Doch wer auch immer gerade Jäger oder Gejagter ist: Gustavo Gusto wurde kürzlich beim Effie, dem Effizi­enzwettbewerb der Kommunikationsbranche, mit der höchsten Auszeichnung bedacht, dem Grand Prix – die Marke siegte in der Kategorie ‚David gegen Goliath‘.
»Wir sprechen aber gar nicht so gerne von Konkur­renz, sondern eher von Marktbegleitern«, sagt Micha­el Götz. »Nur weil wir Dinge anders machen, heißt das ja nicht, dass wir keinen Respekt vor der Leistung anderer haben. Im Gegenteil, Anbieter wie Dr. Oetker haben das leckere Produkt Pizza conveniencefähig ge­macht. Das ist eine tolle Leistung.«
Dennoch habe man einen eigenen Anspruch: »Wir haben nicht geguckt, wie man eine weitere Tiefkühl­pizza hinbekommt. Sondern wie man als Erster eine hochwertige Restaurant-Pizza ohne Qualitätsverlust zu den Menschen nach Hause bringt – nur so hatten wir überhaupt eine Chance in diesem hoch kompeti­tiven LEH-Segment. Dabei sind wir sehr glaubwür­dig, denn unsere Geschichte ist ja kein Werbe-Blabla, sondern hat wirklich so stattgefunden: Das Rezept von damals aus dem Restaurant in Passau ist noch das gleiche wie heute in der Tiefkühlpizza.«
Mete Atam, der bei der Düsseldorfer Agentur Cross­media die Mediaplanung von Gustavo Gusto steuert, schwärmt von der Geschichte, wie es ein kleiner An­bieter in einem kompetitiven Markt geschafft habe, sich in kurzer Zeit durchzusetzen. »Und zwar nicht durch eine aggressive Preis- oder Vertriebspolitik, sondern vielmehr mit einer glaubwürdigen Marken­geschichte.« Und auch wenn die Großen im Markt inzwischen ihre Muskeln spielen ließen: »Gustavo Gusto hat sich davon nicht provozieren lassen und stattdessen auf neue Agilität und authentische Storys gesetzt. Wichtig ist dabei, dass Haltung und Hand­lung immer verzahnt sind. Häufig gibt es einen Wi­derspruch zwischen dem, was eine Marke eigentlich postuliert, und dem, was sie tatsächlich tut. Diese Differenz gibt es bei Gustavo Gusto nicht – die Mar­ke handelt stets aus ihrem Anspruch heraus.«
Zu diesem Anspruch gehört auch eine gewisse De­mut, die in der Corona-Krise bemerkbar wurde. Die nämlich hat Gustavo Gusto einen weiteren Riesen­schub gegeben – statt des üblichen Mittagstischs beim Italiener gönnten sich viele im Homeoffice die etwas teurere Pizza von Gustavo Gusto. » Wenn eh schon alles mies ist, ist Pizza so etwas wie ein Soul­Food «, ist Michael Götz überzeugt. »Das haben wir im Absatz deutlich gespürt.«
Doch weil man Krisengewinner war, entschied man sich, der Gastronomie in Lockdown-Zeiten etwas zu­rückzugeben – in Form einer speziellen Kampagne, in der man explizit dazu aufrief: »Esst weniger Tiefkühl­pizza! « Weiter hieß es: »Wir machen Tiefkühlpizza in Restaurantqualität, aber die vielen tollen kleinen Läden können und wollen wir niemals ersetzen. Al­so: Helft eurem Lieblingslokal, sobald es wieder geht. Und wenn es doch mal eine Tiefkühlpizza sein soll, dann … na ja, ihr wisst schon.«
Laut Götz sei die Aktion »keine Werbemasche« ge­wesen, sondern aus tiefstem Herzen gekommen. Und so folgte dann im nächsten Lockdown eine weitere Solidaritätskampagne, in der Gustavo Gusto das Geld, das man für die ausgefallene Weihnachtsfeier gespart hatte, an die Gastronomie spendete: »Natür­lich können wir so keine ganze Branche retten, aber es ging uns auch darum, ein Zeichen zu setzen«, so Götz.

Eis und Internationalisierung folgen
Übernahmeanfragen trudeln bei Christoph Schramm mit schöner Regelmäßigkeit ein. Doch erst einmal will Gustavo Gusto die Expansion aus eigener Kraft stemmen. Und das, obwohl kein Investor an Bord ist. Trotzdem hat man große Pläne. Da ist zum ei­nen die Internationalisierung – die Werbe- und Ver­triebsgelder sollen 2022 stärker in die Schweiz und nach Österreich verlagert werden, zudem will man die Fühler in Richtung weiterer Länder ausstrecken. Und zum anderen hat man jüngst eine zusätzliche Produktkategorie erschlossen: Eis. Doch passt so ein Produkt zu der ja recht authentischen Gründungsgeschichte? Michael Götz meint schon: »Das Eis soll wie direkt aus der Eisdiele schmecken – genauso, wie unsere Pizza wie aus der Pizzeria schmecken soll. Au­ßerdem sind beides TK-Produkte. Auch die Assozia­tion mit Italien eint beide Artikel. Und schließlich ist Eis als Nachspeise eine gute Ergänzung zur Pizza – da bietet sich eine Cross-Vermarktung geradezu an.« Marketingchef Götz weiß aber auch: »Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht zerfasern.« Man ha­be Anfragen aus aller Welt, wolle aber nichts über­stürzen. »Wenn man so schnell wächst wie wir, dann können die Strukturen gar nicht so schnell mitwach­sen. Wir arbeiten deshalb derzeit unter Volldruck da­ran, dass der Unterbau nachwächst – dafür haben wir tolle neue Kollegen gewonnen.«
Außerdem wird in Thüringen derzeit ein zweiter Standort des TK-Pizzaherstellers gebaut. »Mit einem Investitionsvolumen von mehr als 30 Millionen Eu­ro bauen wir ein modernes, energieeffizientes und digitalisiertes Werk«, sagt Firmengründer Christoph Schramm. Die ersten Pizzen sollen ab dem zweiten Quartal 2022 produziert werden können.
Die Aussichten für die Marke scheinen also gut, zu­mal Pizza das beliebteste Tiefkühlprodukt der Deut­schen ist – der hiesige Markt ist mehr als anderthalb Milliarden Euro schwer. Und genug leere Studenten­mägen gibt es schließlich immer…

Zum Print-Artikel

Dieser Artikel erschien erstmals in Markenartikel, Ausgabe 1-2/2022.

Foto 1: Mete Atam | © Jan Ladwig
Foto 2: Grafik Gustavo Gusto