Wir brauchen einen Kulturwandel

Der Wunsch nach mehr Transparenz im Mediageschäft wird immer stärker, doch die große Reform lässt noch auf sich warten. CROSSMEDIA ist mit einem jährlichen Transparenzbericht Pionier auf diesem Gebiet. In der aktuellen Ausgabe des Markenartikels teilt Markus Biermann, Gründer und Geschäftsführer der unabhängigen Mediaagentur, seine Gedanken zur Transparenz-Debatte:

Dass Mediaagenturen im eigenen wirtschaftlichen Interesse Inventare vermarkten, ist kein Geheimnis. Mit Markus Biermann, Crossmedia, sprachen wir über Intransparenz, den Abbau von Misstrauen – und das Dilemma, dass der Preis oft entscheidend ist.

MARKENARTIKEL: Auch in diesem Jahr bleibt das Thema Transparenz im Mediageschäft für die Werbetreibenden ein zentrales Thema und wurde von den Mitgliedsunternehmen der Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM) in Berlin als große Herausforderung identifiziert. 30 Prozent der Befragten empfinden die Zusammenarbeit als nicht genügend transparent. Auch aufgrund unsauberer Abrechnungspraktiken. Diese sind den Kunden allerdings nicht erst seit gestern ein Dorn im Auge. Wie kommt es, dass sich hier bisher scheinbar so wenig bewegt?

Markus Biermann: Unserer Erfahrung nach herrscht bei vielen Kunden eine sehr ambivalente Haltung. Einerseits ist der Wunsch nach absoluter Transparenz groß. Kommt es jedoch dadurch zu vordergründigen Einschnitten auf Seiten des Kunden – beispielsweise in Bezug auf die Preisgestaltung bei Einkaufskonditionen und/oder Honoraren – so schlägt der Preis in 80 Prozent der Fälle schlussendlich doch den Wunsch nach Transparenz. Viele Kunden befeuern damit – mehr oder weniger unbewusst – ein Modell, das sie parallel in der Öffentlichkeit kritisieren.

MARKENARTIKEL: Die Kunden sind also selbst mit für die Misere verantwortlich?

Biermann: Gerade die global größten Werbekunden hatten in einer TV-dominierten Welt das Gefühl, letztendlich davon zu profitieren, wenn ihre Agentur wie ein Großhändler agiert. So konnten sie Rabatte abschöpfen und Eigeninteressen der Agentur gleichzeitig ein schlagkräftiges Inhouse-Team entgegensetzen. Allen anderen Kunden fehlte es aber oft an Knowhow und Manpower, um die komplexen Strukturen der Branche ausreichend zu durchschauen. Es ist einfach ein komplexes Thema, das sich in Einkaufs-Templates nicht klar darstellen lässt.

MARKENARTIKEL: Doch die Welt hat sich geändert?

Biermann: Die Transparenz-Debatte wird durch einen Bedeutungszuwachs von Digital immer komplexer. Im Bereich Programmatic beispielsweise liegt nun ganz offensichtlich auf der Hand, wie enorm der Vorteil einer wirklich transparent agierenden Agentur ist. Zu groß sind die Summen, die sonst in der intransparenten Wertschöpfungskette versickern. Eine Studie des weltweiten Kundenverbands World Federation of Advertisers kommt zu dem Ergebnis, dass eine transparente Agentur 75 Prozent mehr Leistung herausholt.

MARKENARTIKEL: Der Veränderungsdruck nimmt also zu?

Biermann: Ja. Das merkt man allein daran, dass nun alle von sich behaupten, transparent zu sein. Sie meinen damit: Man sagt vorher transparent, dass man es nicht ist. Das hat mit unserer Vorstellung von Transparenz nichts gemein. Am Ende bleibt: Transparenz ist kein Selbstzweck. Sie ist die Grundvoraussetzung für neutrale Beratung. Viele Kunden holen sich Expertise ins Haus, was sicherlich ein guter Anfang ist. Oftmals hilft es, direkten Einblick in Tools zu bekommen und gezielt die richtigen Fragen zu stellen.

MARKENARTIKEL: Die Sensibilität für das Thema dürfte auch deshalb gestiegen sein, da vor eineinhalb Jahren ein Bericht der Association of National Advertisers zur Transparenz im Mediageschäft großen Wirbel ausgelöst hat. Dabei ging es zwar um das Mediageschäft in den USA, aber auch hierzulande schlug die Untersuchung einige Wellen.

Biermann: Durch solche Debatten steigt der Diskurs um die Transparenz vom reinen Mediaoptimierungs- Thema zum Compliance-Thema auf. Damit ist es heute bis auf Vorstandsebene von Interesse. Viele Werbungtreibende orientieren sich an globalen Brands wie Coca-Cola oder BMW. Wenn diese neue Wege einschlagen, hat das eine Signalwirkung für den ganzen Markt. Wir merken sehr deutlich, dass die Nachfrage nach neutraler Beratung größer ist denn je – sowohl in Deutschland als auch international.

MARKENARTIKEL: Der Umgang mit Kickbacks bleibt dennoch heikel. Die Rabatte, die die Mediaagenturen von Vermarktern in Form von Geld oder Gratiswerbeplätzen erhalten, werden oftmals nicht an die Kunden weitergereicht. Die Werbetreibenden kritisieren die Doppelrolle der Mediaholdings als Händler und Berater und bemängeln Platzierungen, die oft nicht in ihrem Interesse sind. Kein Wunder, dass nur sieben Prozent der OWM-Mitglieder der Beratungs- und Einkaufsleistung der Agentur voll und ganz vertrauen. Was muss Ihrer Meinung nach getan werden, um Misstrauen abzubauen?

Biermann: Der Abbau des Misstrauens kann nur durch beiderseitiges Entgegenkommen zustande kommen. Solange die Kunden nicht bereit sind, den Mediaagenturen ein angemessenes Honorar zu zahlen, wird deren Eigeninteresse zur Refinanzierung und Gewinnoptimierung naturgemäß vor dem Interesse des Kunden stehen. Der erste Schritt zum Abbau des Misstrauens ist demnach eine faire Honorierung der Leistungen der Agenturen – mit diesem Schritt untrennbar verbunden wäre die Verpflichtung der Agenturen, ihre Modelle ohne Wenn und Aber offenzulegen. Sie sehen: Wir sprechen hier von nicht weniger als einer Reformierung des gesamten Modells.

MARKENARTIKEL: Wenn der Druck des Marktes weiter zunimmt, dürfte das unausweichlich sein.

Biermann: Kunden erwarten von ihrer Agentur zu Recht Exzellenz in den Bereichen Media- und Technologiekompetenz sowie einen engen Schulterschluss mit den Kreativen. Das erreicht man nicht mit großen Worten und übergestülpten Strategien aus der Zentrale, dazu gehört ein Kulturwandel. Der wird nur gelingen, wenn man es ernst meint und auf die umstrittenen Praktiken gänzlich verzichtet. Diese Bereitschaft können wir im Markt bislang nicht ausmachen. Warum sollten auch Agenturen ihre bisherigen Modelle ändern, wenn die Not noch nicht groß genug ist?

MARKENARTIKEL: Haben Sie denn einen Tipp, auf welche Klauseln Unternehmen in ihren Mediaverträgen achten sollten?

Biermann: Insbesondere der Digitalbereich ist so komplex, dass nur ein Blick in die Bücher der Agentur sowie der Einkaufsgesellschaft Sicherheit geben kann. Wir haben diese Herausforderung für uns mit unserem jährlichen Transparenzbericht gelöst. Dabei geht ein unabhängiger Wirtschaftsprüfer durch die Bücher und prüft, ob die Eingangsrechnung eines Vermarkters und die Ausgangsrechnung an den Kunden identisch sind. Auch die Rückflüsse von Medien werden dabei unter die Lupe genommen, sodass verifiziert wird, dass wir alles verursachergerecht weitergeben. Doch die Branche ist kreativ bei der Intransparenz von Eigenprodukten oder Verschleierung von Rückflüssen, sei es als Forschungskostenbeteiligung, Beratungshonorar oder Aktienoption an eine Technologie-Tochter. Ein gewisses Maß an Vertrauen ist und bleibt daher trotz aller Audits unverzichtbar.

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