Was bedeutet Werbung im Multiscreen-Kontext?

Ingo Schwab

Ingo Schwab, Unit Direktor Digital bei CROSSMEDIA, zum Thema Multiscreen:

Was bedeutet Werbung im Multiscreen-Kontext? S. 38-41

Immer mehr Menschen verwenden in der Auseinandersetzung mit Medien grundsätzlich mehrere Screens bzw. Endgeräte (z.B. TV, PC/Laptop, Smartphone etc.).33 Werbung, die diese Nutzung verschiedener Screens berücksichtigt, unterliegt besonderen Bedingungen, da die Screens auf unterschiedliche Art und Weise genutzt werden, sodass es einer entsprechenden Strategie bedarf, die diese unterschiedliche Nutzung berücksichtigt und sinnvoll miteinander verknüpft.

Der Multiscreen-User und sein Nutzungsverhalten

Die Nutzung verschiedener Endgeräte/Screens hängt in hohem Maße vom Kontext ab: Zeit, Absicht, Ort und Stimmung/Situation.34

Computer werden meist sowohl zuhause als auch auf der Arbeit verwendet (Ort), um eine bestimmte Aufgabe zu bewältigen (Absicht), für die der User relativ viel Zeit benötigt (Zeit), wobei sich der User in einer eher ernsten Stimmung befindet bzw. relativ fokussiert nach etwas sucht (Stimmung/Situation).

Smartphones werden sowohl zuhause als auch unterwegs verwendet (Ort), dienen vor allem der Kommunikation, Vernetzung und Unterhaltung (Absicht) und werden dabei in eher kleinen Zeiteinheiten genutzt (Zeit), um zügig an Informationen zu gelangen (Stimmung/Situation).

Tablets werden überwiegend zuhause genutzt (Ort) und dienen vor allem der Unterhaltung (Absicht), wobei Zeit dabei in der Regel keine große Rolle spielt (Zeit), da sich der User in einer entspannten, ruhigen Stimmung befindet (Stimmung/Situation).

Fernseher werden in der Regel zuhause genutzt (Ort) und dienen v.a. der Unterhaltung, aber auch der Information (Absicht). User verbringen relativ viel Zeit vor dem Fernseher (Zeit) und sind dabei meist in einer passiven, rezeptiven und entspannten Stimmung (Stimmung/Situation).

Zwei Arten des Multiscreenings

Es können zwei Arten des Multiscreenings differenziert werden: die aufeinanderfolgende Nutzung und die parallele Nutzung unterschiedlicher Screens.

Gemäß einer Studie von Google35 benutzen 98 Prozent der Befragten mindestens zwei verschiedene Endgeräte/Screens an einem Tag (aufeinanderfolgende Nutzung). Die häufigste Aktivität ist dabei das Surfen im Internet, gefolgt vom Social Networking, Online-Shopping, der Informationssuche, dem Tätigen von Finanzgeschäften, der Reiseplanung und dem Anschauen von Videos.33

81 Prozent der Befragten schauen täglich fern und benutzen dabei das Mobiltelefon (Parallelnutzung). 66 Prozent nutzen Laptop/PC und Mobiltelefon gleichzeitig und 66 Prozent Laptop/PC und Fernsehen. Das Mobiltelefon spielt bei der parallelen Nutzung insofern die größte Rolle, als dass es das Endgerät ist, das an der parallelen Nutzung am häufigsten beteiligt ist. Die Aktivitäten der parallelen Nutzung unterscheiden sich von den Aktivitäten der aufeinanderfolgenden Nutzung: 60 Prozent lesen und schreiben E-Mails, 44 Prozent surfen im Internet, 42 Prozent nutzen Social Networks, 25 Prozent spielen, 23 Prozent suchen etwas, 15 Prozent bearbeiten Dokumente und 9 Prozent schauen Videos.35

Der Multiscreen Shopper

Insbesondere Smartphones haben dafür gesorgt, dass man auch unterwegs online einkaufen kann bzw. einkauft. So haben in der Google-Studie 41 Prozent der mobilen Käufe nicht zuhause stattgefunden, während auf dem Laptop/PC nur 16 Prozent der Käufe nicht zuhause stattgefunden haben. Ein Grund dafür ist vermutlich, dass auf dem Smartphone deutlich mehr Spontankäufe getätigt werden (81 Prozent), während im Vergleich dazu auf dem Laptop/PC eher geplante Käufe getätigt werden (42 Prozent). Dabei durchläuft der gesamte Kaufprozess ebenfalls häufig unterschiedliche Screens: 65 Prozent beginnen auf dem Smartphone (61 Prozent werden dann auf dem Laptop/PC weitergeführt), 25 Prozent beginnen auf einem Laptop/PC (19 Prozent werden dann auf dem Handy fortgeführt) und 11 Prozent beginnen auf einem Tablet (10 Prozent werden dann auf dem Laptop/PC weitergeführt).35

Konsequenzen für eine Multiscreen-Strategie

  • User nutzen verschiedene Endgeräte/Screens in verschiedenen Kontexten. Der jeweilige Screen in dem jeweiligen Kontext sollte dementsprechend unterschiedlich berücksichtigt werden. Das heißt, Werbemittel, Inhalt und auch das Ziel von Maßnahmen müssen diese Differenzen der unterschiedlichen Screens berücksichtigen und aufeinander abgestimmt sein. Dies bedeutet auch, dass die Webseiten und Landing Pages eines Werbetreiben immer auf den entsprechenden Kanal bzw. den entsprechenden Screen abgestimmt sein müssen.
  • Die weitverbreitet aufeinanderfolgende Nutzung von Screens macht es für Unternehmen notwendig dafür zu sorgen, dass die Aktivitäten eines Users auf einem Endgerät auch auf einem anderen Endgerät berücksichtigt werden (z. B. Warenkörbe, Logins usw.).
  • Die Parallelnutzung von Endgeräten kann dazu führen, dass der Content eines Endgeräts zu einer Aktion auf einem anderen Endgerät führt. Diese Aktivitäten sollten antizipiert werden, um sie ggf. bei den Marketingmaßnahmen zu berücksichtigen; dies kann dazu führen, dass Conversions evtl. auf einem anderen Endgerät getätigt werden und nicht auf jenem, auf dem die Werbung lief.
  • Die Bedeutung des PCs/Laptops und des Mobiltelefons für den Kaufprozess wird immer wichtiger36 und die Shopping Experience (so wie die User Experience überhaupt) muss dem jeweiligen Kanal angepasst sein. So muss bspw. eine mobile Webseite eines Shops anders gestaltet sein als die Website für den PC/Laptop, weil z. B. die User auf dem Mobiltelefon Dinge noch schneller finden und einfacher kaufen können wollen als auf dem PC. Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass die verschiedenen Endgeräte eine jeweils unterschiedliche Rolle in einem Kauf- und/oder Informationsprozess spielen.
    Die Nutzung des mobilen Internets bzw. die Verbreitung von Smartphones nimmt rasant zu und damit auch die Bedeutung des mobilen Kanals im Multiscreening, sodass dieser Kanal für die meisten Unternehmen inzwischen unverzichtbar ist.

Alcatel Lucent hat auf Basis einer Studie (die sich mit der Frage beschäftigt, was Jugendliche von Multiscreen-Werbung erwarten) allgemeine Empfehlungen entwickelt, die bei einer Multiscreen-Kampagne berücksichtigt werden sollten.37

Sei persönlich: Junge Konsumenten erwarten relevante Werbung, die ihre speziellen, persönlichen Interessen berücksichtigt.

Lass Kontrolle zu: Junge Konsumenten sind bereit, persönliche Daten preiszugeben, wenn sie dafür relevante Werbung erhalten. Allerdings wollen sie auch die Kontrolle haben, welche Daten sie in welchem Umfange teilen und im Zweifelsfall auch in der Lage sein, schnell und unkompliziert unerwünschte Werbung zu stoppen.

Biete Interaktivität: Junge Konsumenten möchten sich mit Werbemitteln auseinandersetzen und die Möglichkeit haben, ihre Meinung kundzutun oder ihre Stimme abzugeben.

Involviere: Berücksichtige das Surfverhalten der jungen Konsumenten und biete ihnen Werbeformen, die diesem Surfverhalten entsprechen über alle Plattformen hinweg.

Auch wenn es schon Multiscreen-Kampagnen gibt, ist dabei sicherlich noch etwas Pionierarbeit zu leisten. Denn insbesondere im mobilen Kanal werden häufig noch gelernte Konzepte aus dem Online-Bereich verwendet, obwohl der mobile Kanal aufgrund seiner besonderen Bedingungen eigener Konzepte bedarf, um ihn optimal zu nutzen. Hinzu kommt, dass es aus genannten Gründen zunehmend wichtiger wird, wirklich vernetzt zu denken und handeln.

Multiscreen-Kampagnen

Coca-Cola Polar Bowl

Der Super Bowl, das Finale der amerikanischen American Football-Liga, ist eines der wichtigsten Sportevents der USA. Coca-Cola ging davon aus, dass etwa 60 Prozent der 111 Millionen Super-Bowl-Zuschauer einen zweiten Bildschirm verwenden (um zum Beispiel nebenbei auf Twitter mit Freunden zu chatten). Genau darauf baute dann auch die Kampagne von Coca-Cola, die die Super-Bowl-Euphorie mithilfe der beliebten Coca-Cola-Eisbären auf einen zweiten Bildschirm transportieren sollte.

Über Twitter, YouTube und Facebook konnten die Zuschauer an der „Eisbären-Super-Bowl-Party“ am Nordpol teilnehmen. Dies heißt, dass Coca-Cola jeden Zuschauer via Laptop, iPad und iPhone miteinbezog und dieser zusammen mit den Eisbären das Spiel live verfolgen konnte: Das Spiel wurde von zwei Eisbären geschaut, die zusammen auf ihrer Eiscouch am Nordpol saßen. Jeder Eisbär fieberte für sein jeweiliges Lieblingsteam mit und reagierte dementsprechend auf die Spielereignisse. Die einzelnen Reaktionen der Bären blieben jedoch ohne Ton, denn Coca-Cola wollte das Super-Bowl-Geschehen verstärken, nicht aber überschatten.

Außerdem wurden die Reaktionen der Bären zur jeweiligen Spielsituation mit einer Verzögerung von etwa vier bis sieben Sekunden eingespielt – und gaben den Zuschauern so die Möglichkeit, zum einen das Spiel und zum anderen die Handlungen der Bären mitzuverfolgen. iPad- und Laptop-Nutzer konnten die Clips über einen Livestream erreichen, während Smartphone-Nutzer entweder auf einzelne Clips vom Livestream zugreifen konnten oder direkt zur Coca-Cola-YouTube-Seite weitergeleitet wurden. Der Livestream war auch über Twitter erreichbar. Beim Klick auf einen Tweet mit dem jeweiligen Livestream-Link wurde das Video direkt auf Twitter.com abgespielt. Auch die Interaktion mit den Fans wurde gesucht – Fans konnten Fotos und Nachrichten teilen und wurden in den Clips erwähnt. Die Multiscreen-Kampagne war ein voller Erfolg: Neun Millionen Zuschauer haben partizipiert. Dabei haben sie sich im Durchschnitt 28 Minuten mit den Coca-Cola-Eisbären beschäftigt, und die Coca-Cola-Twitter-Follower sind innerhalb von vier Stunden um 38 Prozent gestiegen. Die Kampagne wurde sowohl vor- als auch nachbereitet: Coca-Cola hatte im Vorfeld des Mega-Events digitale Werbung, TV-Werbung und Out-of-Home-Maßnahmen durchgeführt und konnte so über 30.000 Registrierungen für das Event im Vorfeld auf Facebook generieren. Nach dem Spiel wurden Videoausschnitte vom Polar Bowl zur Verfügung gestellt, die die User twittern und teilen konnten. Coca-Cola war vom Erfolg der Multiscreen-Kampagne so begeistert, dass Frau Healan, Group Director integrated Marketing content bei Coca-Cola, davon sprach, dass diese das Marketing von Coca-Cola redefiniert habe.38

Weitere Kurzbeispiele

Nielsen Media Labs hat eine Kampagne von Volvo untersucht, die TV, PC, Smartphone und Tablet berücksichtigte, und stellte eine massive Steigerung der Markenerinnerung auf 74 Prozent fest (im Vergleich zu 50 Prozent, als nur TV berücksichtigt wurde). Reebok hat durch Verbreitung eines Videos über alle digitalen Kanäle (PC, Mobiltelefone und Tablets) eine 131 prozentige Steigerung der Brand Response Conversions erreicht. Delta Airlines hat ein Targeting mit interaktiven Videos für Geschäftsreisende über alle mobilen Endgeräte durchgeführt und konnte dadurch die Aufmerksamkeit hinsichtlich Services für diese Zielgruppe verdoppeln.

Trends

Abschließend sei an dieser Stelle noch darauf hingewiesen, dass es weitere Screens (z. B. Spielkonsole, Navigationssystem etc.) bzw. Entwicklungen/Trends (z. B. Smart-TV, Social-TV oder Augmented-Reality-Brillen) gibt, die im Artikel nicht berücksichtigt werden konnten, da dies den Rahmen gesprengt hätte. Insbesondere das Connected- bzw. Smart-TV (also ein TV-Gerät, das mit dem Internet verbunden werden kann) wird voraussichtlich schon bald eine zunehmend wichtige Rolle spielen, da die Durchdringung des Marktes mit Smart-TV-Geräten bereits massiv zunimmt, denn fast jede Neuanschaffung eines Fernsehgerätes ist bereits ein Smart-TV. Die zunehmende Attraktivität dieser neuen Technologien bzw. Geräte wird wiederum Einfluss auf das lineare TV Nutzungsverhalten bzw. die Multiscreen-Nutzung haben.39

Solche Entwicklungen sind im Auge zu behalten und je nach ihrer Rolle/Bedeutung ebenfalls im Kontext einer Multiscreen-Strategie zu berücksichtigen.

 

Schwab, Ingo (2013). Was bedeutet Werbung im Multiscreen-Kontext? In: Die Fachgruppe Agenturen im Bundverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Multiscreen – Die Möglichkeiten geräteübergreifender Web-Strategien verstehen und sinnvoll einsetzen. 1. Auflage, Düsseldorf: S. 38-41

 

QUELLEN:
33 Vgl.: What´s on their screens. What´s on their minds: Reaching&engaging the Multi-Screen Consumer, Microsoft Advertising, 2010
34 Vgl.: The new multiscreen world: Understanding cross-plattform Consumer behavior. Google. August 2012 – Dies sind idealtypische Nutzungsverhalten, die auf Basis der genannte Studie skizziert worden sind. Selbstverständlich können Einzelfälle davon abweichen.
33 Vgl. ebd.
35 Vgl. ebd.
36 Vgl.: dazu auch: What´s on their screens. What´s on their minds: Reaching&engaging the Multi-Screen Consumer, Microsoft Advertising, 2010.
36 Vgl.: Engaging young consumers with multiscreen advertsing. Alcatel-Lucent research.
38 Vgl.: http://adage.com/article/special-report-social-tv-conference/coca-cola-polar-bowl-attracted-9-million-people/234645/?utm_source=feedburner
39 Vgl.: Multiscreen ist Realität: Wie Connected TV die Fernsehlandschaft verändert. Smartclip, 2012.