Weltformel der Werbewirkung

Big Data, Programmatic Buying und algorithmische Werbeplanung sind brandaktuelle Themen. Aber kann die Branche ihre vollmundigen Versprechen auch halten? Lutz Laermanns und Dirk Nögel erklären, warum auch jedes noch so ausgeklügelte Programm seine Grenzen hat:

Glaubt man den Versprechen moderner Tools, gibt es keine weißen Flecken mehr auf der Forschungslandkarte: Live-Daten geben Aufschluss über das Verhalten von Millionen Konsumenten, Technologie trifft völlig autark Budgetentscheidungen, Algorithmen berechnen den Grenznutzen zusätzlicher Investitionen. Gibt es die Weltformel der Werbewirkung? fragen Lutz Laermanns und Dirk Nögel von CROSSMEDIA REDBOX.

Im Werbeumfeld stehen viele Tools für ein großes Versprechen: Sie wollen Budget-Effizienz, Kanal-Mix und Zielerreichung in einem System messen und optimieren, Maßnahmen automatisiert planen sowie alle Muster und Zusammenhänge transparent machen. Kurz: Vorher bereits exakt wissen, was hinterher herauskommt.

So verlockend die Versprechungen auch sind: Jedes Ergebnis einer algorithmischen Werbeplanung und -analyse bedarf einer ergänzenden Einordnung. Denn es gibt praktische Grenzen, die oft in Vergessenheit geraten und die kein Tool der Welt überwinden kann:

Dynamik des gesellschaftlichen Wertegefüges Prognosen im Rahmen datenbasierter Modelle schließen immer aus der Vergangenheit auf die Zukunft. Ändern sich wichtige Rahmendaten, müssen diese in das Modell einfließen. Für Wetter, Ölpreis oder Zinsniveau ist das kein Problem, aber wie steht es um Verschiebungen im Wertesystem? Deutschland vor der Flüchtlingskrise ist anders als Deutschland in der Flüchtlingskrise.

Kreation als „Unbekannte“ Investitionen in Werbemaßnahmen sind entscheidend für den Erfolg, bilden aber immer nur die Bühne für Kreation und Werbebotschaft. Gerade der Effekt mutiger Neuerungen in der Kreation lässt sich auf Basis der Rezeption bisheriger Auftritte kaum vorhersagen.

„Was wäre gewesen, wenn …?“ Kein Unternehmen agiert im luftleeren Raum. Das eigene Handeln beeinflusst nicht nur Kunden sondern auch Mitarbeiter, Vertriebspartner und Konkurrenten. Deren Handeln hat wiederum maßgeblichen Einfluss auf den eigenen Erfolg. Das Ergebnis eines so komplexen Zusammenspiels lässt sich noch mit keinem Tool sinnvoll vorausberechnen.

Unendliche Kombinationen Sind die Plakate in Filialnähe verantwortlich für den Sales-Erfolg des neuen Produkts? Oder ist es die bereits vorhandene hohe Markenbekanntheit? Oder die Prospektwerbung? Diese und eine schier unendliche Zahl weiterer Faktoren lassen sich in der Praxis kaum sauber voneinander trennen und auch meist nicht zu Vergleichszwecken gezielt manipulieren.

Mittel- und langfristige Markeneffekte Kurzfristige und langfristige Ziele stehen oft nicht im Einklang miteinander und können sogar in gegensätzliche Richtungen wirken. Man erinnere sich an die Praktiker-Kampagne „20 Prozent auf alles“. Alles, was über kurzfristige Effekte hinausgeht, muss die Echtzeit-Optimierung allerdings vernachlässigen.

Digitale Messbarkeit Auch wenn der Digital-Werbung der Ruf absoluter Messbarkeit voraus geht, weisen viele Tools auch weiterhin deutliche Lücken auf: Werden tatsächlich nur sichtbare Werbemittel berücksichtigt? Steht die Person im Fokus oder handelt es sich um eine auf Geräte-Ebene aggregierte Messung? Sind In-App-Messung auf Mobile Devices sowie Plattformen wie Facebook oder gar Snapchat vollständig berücksichtigt?

Befragung als Datenquelle Besteht keine Möglichkeit einer technischen Messung, muss auch weiterhin auf Befragungen zurückgegriffen werden. Doch Konsumenten führen nicht darüber Buch, wann sie über welchen Kanal welchen Werbekontakt hatten.

Kleinster gemeinsamer Nenner Außerhalb der Online-Welt lassen sich Media-Kennzahlen zumeist nur aggregiert in Rechen-Modelle einbinden. Ob eine konkrete Person wirklich den TV-Spot gesehen hat und ob dann genau diese Person auch mit der Online-Maßnahme erreicht wird, ist nur für den Teil der Bevölkerung zu beantworten, der an einem entsprechenden Panel teilnimmt.

Innovation und Inspiration Ein Algorithmus ist zwar ideal zur Optimierung eines bestehenden Lösungsweges, bietet aber immer dann keine Hilfestellung, wenn sie eigentlich am nötigsten wäre: bei einer neuen Zielgruppe, einem neuen Produkt oder einem neuen werblichen Auftritt.

Also doch alles nur Zukunftsmusik? Keineswegs. Wir erleben jeden Tag, welche Vorteile datenbasierte Optimierung für die Werbeplanung unsere Kunden bringt. Doch auch wenn mancher Anbieter versucht sein Tool als selbst-optimierende Weltformel zu positionieren, bedarf es zwingend einer sinnvollen Einordnung der Ergebnisse: Ein Tool kann zwar Antworten geben, diese aber nicht erklären. Dazu muss man die Grenzen kennen, denen auch das beste Tool der Welt heute noch unterworfen ist. Denn ein Tool bleibt ein Tool, eigenständiges Denken ist weiterhin erlaubt und die Suche nach der Weltformel der Werbewirkung bietet durchaus noch Raum für Entdeckungen.

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