Warum wir eine neue Pitchkultur brauchen

Markus Biermann, Geschäftsführer und Gründer von CROSSMEDIA, ist überzeugt, dass Werbungtreibende sich mit ihrer inflationären Pitchkultur selbst schaden. Er fordert ein Umdenken und fünf konkrete Regeln:

Wohin ich blicke: Die Unternehmen vergeben ein Werbebudget nach dem anderen an neue Agenturen. Doch ist es überhaupt klug, dass Kunden ihre Mediaagenturen regelmäßig im Pitch überprüfen? Beim genaueren Hinsehen wird schnell klar, dass ein grundsätzlicher Pitch-Turnus von zwei Jahren – der von vielen Konzernen heute als Richtlinie vorgegeben wird – ganz und gar nicht zielführend für das eigene Unternehmen sein kann. Innerhalb so kurzer Zeit kann es nur um Regularien und Abstimmungen der Verträge gehen. Die Unternehmensziele und beste Wirkung für die Marke bleiben weitestgehend auf der Strecke.

Und nicht nur die Geschwindigkeit, mit der ein Pitch nach dem nächsten vollzogen wird, hat sich in den letzten Jahren enorm erhöht. Auch die Spielregeln bei der Teilnahme haben sich in professioneller wie ethischer Hinsicht gewandelt. Im Pitch geht es mittlerweile doch nur noch um ein kurzfristiges Überzeugen mit viel Show, hochpolierten Präsentationen und Dumping-Mediapreisen. In der Realität angekommen, herrscht dann oft Unzufriedenheit auf beiden Seiten. Die Agenturen können ihre Versprechen nicht halten und die Werbungsreibende verlieren das Vertrauen in ihre ausgewählte Agentur – perfekter Nährboden für die inflationäre Pitchkultur, die gerade in den letzten Monaten ihre Blüten treibt.

Fünf Regeln für bessere Media-Pitches

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, habe ich für die Werbungstreibenden fünf Regeln formuliert – damit Agenturen auch für ihre möglichen Auftraggeber pitchen, sich Werbung langfristig lohnt und Media nicht irgendwann selbst abschafft:

1. Ein angemessener Zeithorizont

Eine nachhaltige Mediastrategie benötigt mindestens sechs Wochen. Andernfalls steht die zur Verfügung gestellte Zeit im massiven Widersprich zur geforderten Leistung. Wer seinen Job als Mediaberater ernst nimmt, weiß, dass in weniger Zeit keine echte Mediastrategie entwickelt werden kann und im Pitch mehr geblendet wird.

2. Wertschätzender wie professioneller Umgang

Mindestens zwei Stunden Zeit sind für eine ordentliche Präsentation nötig. Und ja, die Crendetial gehört unbedingt dazu! Dabei darf ein Pitch kein belangloser Zeitvertreib sein: Der Entscheider sollte weder kurzfristig verhindert sein noch mitten in der Präsentation den Raum verlassen. Grundsätzlich wäre zudem die Vereinbarung eines Pitch-Honorars nur fair. Jeder Termin mit Dritten ist ein kostenloses Wissens-Sharing, von dem die dritte Partei profitiert, für das die Agentur aber nicht entschädigt wird.

3. Verständnis für Mediastrategien

Technische und digitale Neuerungen bestimmen den Markt, unterschiedlichste Maßnahmen von Social Media über Programmatic bis hin zu Geo Intelligence müssen mitberücksichtigt werden. Umso wichtiger ist, dass Beratung mit strategischem Anspruch sowie Verständnis für die Marke beim Pitch-Entscheid im Vordergrund stehen und nicht auf kurzfristige Effekte gesetzt wird. Letzteres erlebe ich in der Praxis nur allzu häufig – durch überforderte Pitch-Berater und nicht fokussierte Kunden.

4. Blender enttarnen

Werbungstreibende sollten ein Auge auf markt- und investorgetriebene Verhaltensweisen von Mediaagenturen sowie freien Beratern (auch Auditoren) haben, die sich auf den Weg machen, mit aggressiver Mittelverwertung noch die letzten Krümel des Mediakuchens aufzusammeln. Gerade mittelständische Kunden werden mehr denn je umgarnt mit dem, was im Mediatopf noch so übrig ist, sich aber langfristig für Werbungstreibende als unwirtschaftlich herausstellen wird.

5. Haltung entwickeln

Wie oft habe ich es schon erlebt, dass während Pitch-Präsentationen über Strategie diskutiert wird, aber final die Einkaufsergebnisse und Honorarverträge zählen? Der Plan kann nicht nur sein, die Brutto-Netto-Schere zu verringern. Werbungtreibende sollten sich in der Verantwortung fühlen, ihre Agenturen genau zu prüfen und so dem Trading keine Chance zu geben. Nur so behalten sie den Durchblick und bekommen keine Lagerware.

Sind Pitches überhaupt das richtige Mittel?

Media ist komplex und Haltung allzu häufig Mangelware. Die Zeiten sind global-gesellschaftlich und wirtschaftlich unruhig. Geschäftsmodelle und Strategien müssen digital transformiert werden. Es ist nachvollziehbar, dass dieser Wandel die Werbungtreibenden fordert. Außer Crossmedia hat keine weitere Agentur ein gesondertes Honorarmodel installiert, um sich von den Kickbacks der Medien unabhängig zu machen. Mediaagenturen sollten ihre Kunden aber im vertrauensvollen Umgang an die Hand nehmen und sie mit strategischem Anspruch im Sinne ihrer Unternehmensziele beraten. Eine langfristige, zukunftsfähige Zusammenarbeit ist insbesondere für digitale Vorhaben aufgrund ihrer Komplexität grundlegend.

Sind dann Pitches überhaupt noch das richtige Mittel zur Agenturwahl? Wären Chemistry Meetings, Screenings und Workshops nicht viel geeigneter?

Media ist meine Leidenschaft, ich lade Sie gern ein zum Gespräch.

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