Warum Radio-Spendings demnächst zu Facebook und Google wandern könnten

Bis 2019 wird die zulässige Werbezeit der WDR-Hörfunksender schrittweise reduziert. Holger Zech erklärt in seinem Meinungsbeitrag „200 Zeilen Zorn“ in der aktuellen Ausgabe der W&V, welche Auswirkungen das auf den Werbemarkt hat:

Die privaten Radiosender im Land hatten eine Reduzierung der Werbezeiten auf den WDR-Wellen schon lange gefordert – Radio NRW sprach von einem „krassen Missverhältnis“, und man sei „in in großer Sorge“. Das hat sich die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen zu Herzen genommen. Außerdem haben sich die Parteien ohnehin ins Wahlprogramm geschrieben, Werbung in den öffentlich-rechtlichen Medien zu reduzieren.

Der nordrhein-westfälische Landtag hat nun also mit dem neuen WDR-Gesetz wichtige Entscheidungen über die Senderaufsicht und die Finanzierung des WDR getroffen. Das Gesetz sieht unter anderem eine schrittweise Reduzierung der Werbezeiten und der Zahl der werbefinanzierten WDR-Wellen vor (W&V 4/2016). Die zulässige Werbezeit wird bis 2019 schrittweise reduziert von jetzt 90 Minuten täglich auf 60 Minuten – auf nur noch einem einzigen Sender. Diese Eingriffe in den Radiowerbemarkt sind allerdings einschneidend – und sie konzentrieren sich zu sehr auf erwünschte Kurzfristeffekte, blenden aber langfristig gefährdende Markteffekte aus.

Politischer Wille trifft auf marktwirtschaftliche Realität

Die oberflächliche Aussage „Weniger Werbung– wir zahlen eh schon Gebühren“ kommt sicherlich beim Gros der Wähler gut an. Hier wird es schon mal keinen Gegenwind geben. Der politische Wille hinter dieser Entscheidung ist aber nicht „generell weniger Werbung“, sondern gleichzeitig „mehr Werbung auf Radio NRW“. Der einfache Gedanke dahinter: Wenn ich einen Wettbewerber beschränke, verschieben sich die Budgets zum anderen. Das Problem jedoch ist, dass diese Entscheidung mögliche Kollateralschäden nicht berücksichtigt. Die Entscheidung ist eindimensional; Marktstrukturen werden zu wenig beachtet. Die Diskussion der Situation fand zum größten Teil auf der Hörermarktebene statt. Radio NRW als Einzelsendermarktführer generiert einen Hörermarkt anteil von 35 Prozent, während die drei WDR-Wellen auf 55 Prozent kommen. Das scheint übermächtig und böte Potenzial für Verschiebungen. Das WDR-Gesetz allerdings greift nicht in den Hörermarkt, sondern in den Vermarktermarkt ein! Und hier sieht es deutlich anders aus: Die privaten Vermarkter generieren überproportionale 60 Prozent Marktanteil. Zwischen Radio NRW und den WDR-Wellen besteht also ein ausgewogener Wettbewerbsmarkt, dem jeder Kartellrechtler Bestnoten geben würde. Durch den gesetzlichen Wegfall zweier WDR-Sender wird sich der Vermarkteranteil der Privaten strukturell auf realistische 75 bis 80 Prozent erhöhen. Damit wird quasi ein Markt monopolistischer Struktur mit all seinen Konsequenzen geschaffen. Das kann politisch nicht gewollt sein.

Die Umsätze und Kunden werden auch nicht schlicht zu den Privaten abwandern. Denn: Radio steht dafür, dass Reichweite sowie Aktivierung schnell aufgebaut werden können; das Medium ist tages- und stundengenau aussteuerbar. Durch die gesetzliche Reduzierung der Werbezeiten und Sender verschärft sich nun ein generelles Radioproblem: Die interessanten Werbeslots morgens und nachmittags sind eh schon gut gebucht. Durch den Wegfall steht also noch weniger Werbezeit in der sogenannten „Drivetime“ zur Verfügung. Der Kunde will aber seine Werbung zu genauen Uhrzeiten, dazu gibt es keine Alternative, wenn die Reichweiten zu anderen Zeiten nicht attraktiv genug sind. Zudem werden zur Reichweitenausschöpfung die WDR-Sender und Radio NRW meist sowieso schon gemeinsam belegt. Eine zusätzliche Belegung ist aufgrund der im Funk relevanten Anforderungen an Tages- und Uhrzeiten oft wenig sinnvoll. Die politische Intention, die öffentlich-rechtlichen Sender zu beschneiden, damit am Ende die Privatradios profitieren, kann sich daher nicht erfüllen. Radio NRW erhofft sich durch das neue Gesetz marktgerechte Preise: Der WDR sei ja schließlich so günstig. Wenn er nur noch wenige Werbezeiten hat, wird er diese für mehr Geld verkaufen.

Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt

Radio NRW hätte dann auch wieder mehr Spielraum bei der Preisgestaltung – nach oben. Die Gesetzesänderung stellt damit den Freibrief für Preisdiktate aus und langfristig dafür, dass die Preise steigen. Da fragt man sich, wo der Schwerpunkt der Überlegungen liegt? Hier wird anscheinend Industriepolitik ohne Rücksicht auf wettbewerbspolitische Aspekte vollzogen.Die Auswirkungen in NRW als bevölkerungsreichstem Land werden auf nationaler Ebene durchaus spürbar sein. So wird sich die erhebliche Verknappung des WDR-Angebots vor allem auf die nationalen Senderkombis auswirken. Neben dem deutlichen Reichweitenverlust (30 Prozent Tagesreichweitenverluste für Werbungtreibende), der die Attraktivität der nationalen Kombis und damit die gesamtnationale Radiobelegung schwächt, wird die Frage sein, wie viel Volumen die AS&S/WDR für die im Gegensatz zur regionalen Vermarktung renditeschwächere nationale Vermarktung zur Verfügung stellen wird.

Regionales Exempel, nationale Wirkung

Ohne die WDR-Sender würden den nationalen Deutschland-Kombis ihre stärksten Leistungsbringer genommen. Und das betrifft nicht mehr nur die WDR-Sender, sondern den gesamtnationalen Markt: Würde der WDR komplett aus den Deutschland-Kombis herausfallen, schwächt das in letzter Konsequenz auch kleinere Sender, wie RBB und den Saarländischen Rundfunk, die dann auch nicht mehr von den Einnahmen profitieren können.

Die Verlierer: das Radio, die Werbeindustrie, der Hörer

Eine direkte Substitution des Budgets von WDR zu Radio NRW ist politisch gewünscht, wird aber in dem Ausmaß keinesfalls so eintreten – wie sollte sie auch? Kurzfristig kann es sicherlich leichte Verschiebungen zu den privaten Lokalsendern geben. Was das jedoch langfristig bedeutet, ist völlig unklar und stellt für das gesamte Medium eine Gefahr dar. Die Reichweitenverluste werden das Medium Funk, welches immer über eine Unterkapitalisierung im Gesamt-Mediamix klagt, nicht relevanter machen. Im Gegenteil: Sie erhöhen die Attraktivität von Alternativmedien, was sich langfristig negativ auf alle Radiosender auswirken wird. Der gesamten Werbeindustrie wird ein wichtiger Zugang zur Zielgruppe mit einer abverkaufsorientierten Ansprache genommen. Zudem wird die im Massenmedium Funk wichtige zielgruppendifferenzierende Ansprache der WDR-Sender durch die Reduzierung auf einen Sender wegfallen. Insbesondere regionale, mittelständische Unternehmen werden hier am Ende die Leidtragenden sein. Und zu guter Letzt die Hörer: Sie werden zwar mehr werbebefreites
Radio hören können, aber die reduzierten Erlöse auf WDR-Senderseite am Ende mit einer schlechteren Programmqualität oder im schlimmsten Fall mit erhöhten GEZ-Gebühren zu spüren bekommen.

Der Gewinner: das Internet

Die größte Konkurrenz für Radiosender befindet sich nicht in, sondern außerhalb der Gattung Funk. Es ist nicht davon auszugehen, dass andere regional belegbare Medien wie Tageszeitungen oder Außenwerbung besonders profitieren werden. Neue digitale Audioformate wie Spotify verfügen zwar über spürbare Reichweite, werden aber nicht annähernd den Verlust kompensieren können. Vielmehr wird das Internet hier der eigentliche Profiteur sein, zum Teil in Form von regionalen Angeboten. Aber vor allem besteht die Gefahr, dass die großen internationalen US-Unternehmen Facebook und Google als die Gewinner aus dem WDR-Gesetz her vorgehen.

Ein moderateres Vorgehen wäre hilfreicher gewesen

Die Änderungen des WDR-Gesetzes werden nicht die erhoffte Wirkung erzielen, sondern langfristig sogar kontraproduktiv sein. Zudem ist das Ausmaß der Änderung schon der weitreichendste Einschnitt (außer einem kompletten Werbeverbot), der den Funkmarkt nicht nur in NRW, sondern auch auf nationaler Ebene stark beschneidet. Der Politik hätte ein moderates Vorgehen gut zu Gesicht gestanden, indem man es bei der Stufe 2017 belassen hätte. Vielleicht hätte die Regierung eher den TV-Markt angehen sollen, denn hier hätte der politische Wille eine deutlich größere Wirkung gehabt und dabei weniger Schaden angerichtet. Bei dem verabschiedeten WDR-Gesetz hingegen beschneidet deutsche Regulierungspolitik die Sender darin, sich gegenüber großen internationalen Playern zu behaupten, stärkt damit ausländische Mediaanbieter und schwächt die eigenen nationalen Sender!

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