Abgestaubt und aufgehübscht

Fragmentierung im Free TV: Holger Zech kommentiert den Start von Nischensendern wie RTL Plus und Zee One:

In diesem Jahr starten drei Sender mit abgehangener TV-Ware. Was nicht gegen ihren Erfolg spricht.

Renate Mahler ist eine korpulente Hamburgerin in ihren Vierzigern. Die Sozialhilfeempfängerin soll den Gerichtsvollzieher mit einer Zaunlatte brutal niedergeschlagen haben, um die drohende Pfändung abzuwenden. Zuvor hatte Renate ihm Sex angeboten, um sich von der Zwangszahlung zu befreien. Der fiktive Fall der kaufsüchtigen Arbeitslosen ist zwar nicht ganz aktuell. Doch ab 4. Juni wird er erneut aufgerollt: Im RTL-Strafgericht, das bei RTL Plus eine Heimat gefunden hat. Der Free-TV-Kanal ist nur einer von drei Nischensendern, die in diesem Jahr starten: Die Sendergruppe ProSiebenSat.1 bringt in der zweiten Jahreshälfte einen Doku-Kanal on air, und der indische Medienkonzern Zee Entertainment startet voraussichtlich im Juli den Bollywoodsender Zee One.

Nischensender sind inzwischen ein wesentlicher Teil der Wachstumsstrategie von TV-Konzernen. Es gilt als leichter, einen neuen Spartenkanal ins Leben zu rufen und diesen über die kritische Einprozenthürde zu hieven, als mit einem bestehenden Flaggschiff 0,3 Prozent Marktanteil dazuzugewinnen. Auch in der Vermarktung sind die Chancen für die Neuen inzwischen größer als die Hürden. Dazu trägt der Vormarsch von Programmatic Buying bei. […]

Mit dem Retrosender für 40- bis 65-jährige Frauen möchte RTL die Lücke im Portfolio schließen, die der Hauptsender sowie Vox, N-TV und RTL Nitro offen lassen. Holger Zech, Geschäftsführer von Crossmedia, meint aber: „RTL und Vox haben bereits 62 beziehungsweise 65 Prozent weibliche Zuschauer. Und zieht man bei RTL die wenigen Formate ab, die in erste Linie die männlichen Zielgruppen ansprechen, landet man programmlich ohnehin bei RTL Plus.“

Der Zwilling von RTL Plus heißt Sat.1 Gold

ProSiebenSat.1 hat einen solchen Sender schon länger im Angebot. Sat.1 Gold richtete sich ebenfalls zunächst an die Best Ager, ist aber inzwischen laut Zech deutlich jünger. Das Durchschnittsalter liege jetzt bei 54 Jahren. Doch der Überraschungserfolg dürfte in Köln Begehrlichkeiten geweckt haben. Die alte Ware bescherte Sat.1 Gold 2015 mit Highlights wie Der Bulle von Tölz und Bonanza einen Marktanteil von respektablen 1,4 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen. „Die RTL-Sendergruppe hat im Vergleich zu ProSieben-Sat.1 Media im Zeitraum von 2012 bis 2015 ganze 15 Prozent Marktanteil verloren. Bei den Unterföhringern waren es dagegen nur 5 Prozent.“ Klar, dass da nach Wegen gesucht wird, Marktanteile hinzuzugewinnen. „RTL Plus könnte sich durchaus bei 1,5 bis 2 Prozent Marktanteil einpendeln“, prognostiziert Zech. Und vor allen Dingen Werbekunden ansprechen, die in erster Linie bei ARD und ZDF buchen, nämlich die Pharmakunden. In Unterföhring wird unter der Ägide von ProSiebenSat.1-TV-Deutschland-COO Katja Hofem ein Vorhaben umgesetzt, das bereits seit zwei Jahren in der Schublade liegt.

In der Konzeptphase hieß das Projekt „Kabel eins Doku“. Dabei soll es aber nicht bleiben, ein griffiger Name wird derzeit gesucht. „Der neue Sender wird ein reiner Doku- Channel, der erste seiner Art im deutschen Free-TV mit international erfolgreichen und hochwertigen Dokumentationen“, so Hofem, die für den Konzern auch Sixx, Sat.1 Gold und ProSieben Maxx auf den Weg gebracht hat. […] Trotzdem: Laut Zech dürfte es „eher schwer werden, die Einprozenthürde zu knacken“. […]

Ebenfalls ein Stück vom deutschen Werbemarkt will der neue Bollywoodsender Zee One abhaben, der voraussichtlich im Juli startet. Der Free-TV-Sender soll rund um die Uhr Bollywoodfilme, indische Serien und Unterhaltungsprogramme ausstrahlen.

Indischer Konzern als Bollywood-Botschafter

Europa-CEO Neeraj Dhingra kündigte jetzt via Media Business Asia an, ein Prozent Marktanteil anzupeilen, um für die Werbewirtschaft attraktiv zu sein. Holger Zech ist da skeptisch. „Die Deutschen haben kaum Zugang zu Bollywoodthemen. Hier ist die kulturelle Fremde sicherlich Hürde“, meint der Mediaprofi. Außerdem habe die indische Bevölkerungsgruppe keine Relevanz, eher die türkischen Mitbürger, die ebenfalls als recht Bollywoodaffin gelten. „Ich finde das Thema eher schwierig und zweifle stark daran, dass in der breiten Zielgruppe die Einprozenthürde genommen wird. Für eine spitze Ansprache von indischen und türkischen Bevölkerungsgruppen kann das jedoch Relevanz haben.“ […]

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